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Biografisches

Festnahme

Im April 1947 wurde ich bei einer Ausweiskontrolle durch sowjetische Soldaten festgenommen und zur Kommandantur nach Potsdam gebracht. Der Vernehmer und ein Dolmetscher beschuldigten mich: "DU SPIONIN! Du musst einen Engländer in Berlin kennen!" Ich hatte keine Ahnung, wovon sie gesprochen haben. Nach 4-5 Tagen laufender Verhöre bei Tag oder des Nachts und dem immer wiederholten Vorwurf "DU SPIONIN" glaubte ich selbst daran und habe mein Verhörprotokoll unterschrieben.

Die "freie" Zeit verbrachte ich in dieser Kommandantur im Keller in einem Verschlag, der 1 m breit und ca. 1,80 m lang war und mit einer kleinen Liegefläche und einem Kübel für die Notdurft ausgestattet war.

Die "erfundenen" Fakten waren wohl nicht genug, so wurde ich für etwa drei Wochen in ein Kellergefängnis nach Rathenow gebracht. Wieder Verhöre, wieder die Anschuldigung: "DU SPIONIN!". Dann ging es mit verbundenen Augen in einer grünen Minna zurück nach Potsdam.

Hier war in der Leistikowstraße eine Villa als Gefängnis eingerichtet worden, d.h. die Fenster waren mit Holzschuten verschlossen und große Holzpritschen waren zum Sitzen eingelegt worden, die ab 22 Uhr eventuell auch zum Schlafen genutzt werden konnten. Außerdem gab es einen Kübel für die Notdurft. Jeder Insasse erhielt einen Becher Wasser pro Tag. Ich war viel allein, aber auch oft mit bis zu 7- 8 Personen in diesem Raum.

Hier blieb ich bis August 1947 ohne weitere Vernehmungen. Doch öfters musste ich stundenlang in einem Verhörraum sitzen und Protokolle unterschreiben.

Meine mir angelastete Spionagearbeit war wohl fragwürdig, so kam ich ohne Verurteilung im August nach Sachsenhausen bei Oranienburg. Hier erwarteten mich viele Häftlinge, ca. 20.000, davon etwa 3.000 Frauen, sie waren alle nach Mai 1945 verhaftet und interniert worden.

Alltag im Speziallager Sachsenhausen

Um 6 Uhr war Wecken, es folgte sofort der Zählappell vor den Baracken, egal bei welchem Wetter. Der dauerte unterschiedlich lang. Danach gab es "Frühstück": Heißes Wasser mit wenig Kornkaffee, 100 g Brot, einen Teelöffel Marmelade und einen Teelöffel Zucker.

Bis 18 Uhr war Langeweile angesagt. Das Liegen auf unseren Holzpritschen = Betten war verboten. Die Holzpritschen waren zwei- und dreistöckig.

Abends war wieder Zählappell und "Abendbrot": Eine Schüssel Suppe mit "Gemüse, Kartoffeln oder Haferflockeneinlagen". In der Suppe suchten wir vergeblich nach Fleisch.

Um 20 Uhr war Lagerruhe.

Arbeitseinsätze

Sie gab es wenige. Einige Kameradinnen waren "Hausmädchen" bei den Lageraufsichtssoldaten. Andere durften zum Herrichten von Gemüse, Kartoffeln usw. in der Lagerküche arbeiten. Im Herbst gab es noch Einsätze zum "Einmieten" der Wintervorräte. Diese Einsätze wurden gewechselt, damit möglichst alle Frauen abwechselnd in den "Genuss" von Arbeit kamen.

Mit Angst und viel Vorsicht haben wir von den Ackerfrüchten gegessen. Wurde man erwischt, war der Arbeitseinsatz weg.

Hygiene

Kaltwasser und Toilettenräume gab es in jeder Baracke.

Einmal in der Woche wurden wir zum Warmduschen in eine bestimmte Baracke gebracht. Zum Waschen gab es ein kleines Stück Schwemmseife, diese war ganz weich und schnell verbraucht.

Wir mussten die Oberbekleidung ausziehen, an einen Haken hängen. Diese wurde "desinfiziert", d.h. sehr heiß "gebrannt". Unsere Unterwäsche haben wir beim Duschen gewaschen und in der Wohnbaracke getrocknet. Während meiner Zeit in Sachsenhausen bekam ich zwei einfache, schwarze Kleider. Unterwäsche hatte ich noch von zu Hause.

Unsere Wohnbaracken wurden ebenfalls jeden Monat desinfiziert. D.h. alles Bewegliche wurde mit Chlorwasser abgewaschen. Diese Aktion war sehr notwendig, da es viele Flöhe und Wanzen gab.

Im gleichen Jahr gab es "Erleichterungen", z.B. eine Lautsprecheranlage, die Nachrichten von draußen bekannt gab. Hin und wieder kamen Zeitungen ins Lager. In ihnen fanden wir Grüße von Angehörigen, ich auch.

Es gab auch eine Krankenstation. Sie wurde von inhaftierten Ärzten betreut. Hier waren Leute mit ansteckenden Krankheiten oder psychischen Erkrankungen untergebracht. Auch Zähne wurden dort ohne Betäubung gezogen, aber nicht behandelt. Es hieß im Lager, die meisten Ärzte hatten bis 1945 in der Charité gearbeitet.

Auflösung des Speziallagers

1948 wurden einige Frauen aus dem Lager geholt. Keine wusste, wohin sie entlassen wurden. Erst nach meiner Heimkehr 1955 habe ich es erfahren. Sie waren nach Hause gegangen. Einige von ihnen haben meinen Angehörigen von meinem Verbleib berichtet.

Bei Auflösung des Internierungslagers Sachsenhausen im Jahr 1950 kam ich nicht nach Hause (Beelitz Stadt), sondern in ein Gefängnis nach Berlin-Lichtenberg!

Im Oktober 1950 wurde mir durch einen Dolmetscher erklärt: "Nach Einsicht der Akten von 1947 verurteilt Dich ein Moskauer Tribunal zu 10 Jahren Zwangsarbeit in einem Arbeitslager in der Sowjetunion!"

Nach vier Wochen Gefängnisaufenthalt wurde ich im Transport über Moskau nach Workuta gebracht.

Russland

Meine zehn Jahre Arbeitslager begannen mit der Bahnfahrt zu viert in einem winzigen Abteil ab Berlin-Ostbahnhof (damals noch Schlesischer-Bahnhof) über Frankfurt/Oder bis Brest-Litowsk. Hier kamen wir in Waggons mit Liegeabteilen! ln Moskau wurden wir für ein paar Tage in die Lubjanka, in eines der schlimmsten Gefängnisse gebracht, ohne jegliche Erklärung, was weiter geschieht und wohin wir kommen.

Danach ging die Fahrt weiter gen Norden und beim Ausladen (nach etwa einer Woche) versanken wir in hohem Schnee: "WORKUTA", der "Gulag" für viele Gefangene, war erreicht.

Über eine Peresilka (Verteilerlager) kam ich für drei Jahre in das 2. Kirpitschen, eine Ziegelei.

Leben und Arbeiten im 2. Kirpitsch (Ziegelei)

Die Wohnbaracken und die Ziegelei waren etwa 25 Minuten Laufzeit voneinander entfernt. Zur Arbeit wurden wir, eingeteilt in Brigaden, unter Bewachung von Soldaten mit Gewehren und mit scharfen Hunden geführt.

Die Normerfüllung war höchstes Gesetz, sonst gab es Essensentzug. Die Norm war selten zu erreichen.

Das Leben drehte sich um die Arbeitszeit. 1950 gab es einen 12 Stunden Arbeitstag, von morgens 6 Uhr bis abends 18 Uhr und umgekehrt, als Tag- und Nachtschichten. Die Zeit dazwischen waren wir mit Schlafen und Essen befasst. Zu essen gab es ein Stück Brot von etwa 100 g, 20 g Zucker am Stück, eine Portion Kascha (Brei) mit einem Esslöffel Öl, das selten zu genießen war. Ich benutzte es als Hautcreme. Außerdem befassten wir uns damit, nach Wasser zu suchen, das wir für die Körperreinigung und zum Waschen unserer wenigen Kleidung benötigten. Die Seife zum Waschen war zu wenig. Die Kleidung bestand aus einer langen Buschlatt (Steppmantel), einer kurzen Steppjacke, zwei Kleidern, Unterwäsche (1 Schlüpfer, 1 Hemd) - Kleider und Unterwäsche wurden einmal im Jahr erneuert - vier Fußlappen und einem Paar Walinki (Filzstiefel).

Für die Arbeit bekamen wir einen Overall (Anzug aus festem Stoff).

Nach Stalins Tod 1953 wurde die 3 x 8-Stunden Arbeitszeit eingeführt. Diese brachte uns Häftlingen im Tagesrhythmus Erleichterung. Die Arbeiten in der Ziegelei waren vielfältig und alle schwer!

Gewinnen von Lehm unter Tage

Mit großen Messern wurde der Lehm geschnitten. Die Arbeiterinnen trugen einen Lederschurz, um ihren Unterleib zu schützen, das Schneiden des Lehms verlangte volle Körperkraft. Der Lehm wurde in Kipploren geladen und aus der Tiefe mit einer Seilwinde und Körperkraft in die Formowka (Ziegelformung) gefahren. Anschließend wurde der Lehm in eine offene Knetmaschine gekippt, mit Wasser vermengt und in einer Maschine zu rohen Ziegeln geformt, die von zwei Arbeiterinnen auf Stellagen aus Holz gelegt und von einer dritten Arbeiterin in Trockenkammern gefahren.

In der Zuschilka (Trockenraum) wurden aus Lehm geformte und getrocknete Ziegeln aus dunklen Kammern voll mit Ruß ausgeladen! Das Trocknen erfolgte durch unterirdische Leitungen, die von einem Hochofen beheizt wurden. Beim Öffnen der Kammern strömte große Hitze heraus; auf den Steinen lag viel Ruß. Das Ausladen - bei sehr wenig Licht - habe ich fast drei Jahre leisten müssen und immer in gebückter Haltung. Schwierig und deprimierend war danach die körperliche Reinigung. Der Ruß saß überall, Seife und Wasser waren immer sehr knapp. Die ausgeladenen Steine wurden in den Brenn- den sogenannten "Hoffmannsofen" eingefahren. Er war ein Rundofen, der immer brannte und laufend be- und entladen wurde. Diese Methode hatten Kriegsgefangene aus Deutschland gekannt und die Ziegelei von 1950 aufgebaut.

Meine Arbeit am Hochofen

Nach drei Jahren in den Trockenkammern wurde ich Heizerin. Mit 3 m langen Eisenstangen wurde die Glut bewegt, um eine sehr große Hitze zu erzeugen. Die Hitze wurde dann unterirdisch in die Trockenkammern geführt. Gegen die Hitze gab es Lederschürzen und Gesichtsmasken. Laufend musste Kohle eingeworfen und verbrannte entfernt werden.

Letztere wurde mit Wasser abgelöscht, sofort in eine Schubkarre geladen, über ein schmales, etwa 30 cm breites und immer vereistes Brett und über einen etwa 3 – 4 m tiefen Abgrund gefahren.

Anstrengend war der Temperaturunterschied. Immer vor dem Hochofen bis 800 Grad Wärme und draußen vor der Tür bis minus 40 Grad Kälte. Der Abgrund war eine Gleisanlage, auf der mit einem Zug die nötige Kohle angefahren wurde. Die Aschenhalde war hoch und das Auskippen der Schubkarre sehr schwierig. Diese Arbeit machte ich 5-6 Monate. Danach wurden wir deutschen Frauen zum Gleisbau in ein anderes Lager gebracht. Dort arbeiteten wir am Gleisbau, d.h. an der Bahnstrecke durch die Tundra, bei einer Kälte von bis zu minus 45 Grad Celsius.

Abtransport

1953-1954 erfolgten die ersten Abtransporte von "Ausländern", d.h. von Österreicherinnen, Amerikanerinnen und Französinnen. Wohin sie transportiert wurden, blieb unbekannt.

Anfang 1955 brachte man uns aus der Tundra und von Workuta weg. In einem Lager in der Taiga (Potma) wurden wir zur Waldarbeit eingesetzt. Meine Brigade musste mit Schlitten und Pferden das Holz transportieren.

Nach dem Besuch von Dr. Adenauer im September 1955 in Moskau kamen auch die letzten 10.000 Kriegsgefangenen (darunter etwa 3000 politische Häftlinge!) frei und wurden in die Heimat nach Deutschland entlassen.

Leben danach

In Frankfurt/Oder verließen die ersten Heimkehrer unseren Zug. Ich fuhr bis Friedland in den Westen mit und bin am 16.10.1955 nach Lüneburg entlassen worden. Dort lebten seit 1954 meine Eltern.

Hier ging ich noch einmal in die Schule und erlernte den Beruf der Hauswirtschaftsleiterin; ihn führte ich bis zu meiner Verheiratung 1961 in Lüneburg und Hannover aus.

Nach 8½ Jahren in russischer Gefangenschaft musste ich erfahren, dass meine Leidenszeit "vielleicht" eine Namensverwechslung gewesen ist. In Beelitz/Stadt lebte 1947 eine mir fremde Frau mit dem Mädchennamen Görlach, sie war mein Jahrgang, 1928. Diese Frau hat sich nach meiner Verhaftung sofort nach Westberlin zu "ihrem" Engländer begeben. Ihr weiterer Verbleib ist mir unbekannt.

Diesen "Engländer" sollte ich gekannt haben, so die Meinung meiner Vernehmer bei den Verhören von April - Juli 1947: Also war ich Spionin!

Meine Haftentschädigung habe ich nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) für die 8½ Jahre erhalten. Meine Rehabilitierung: 11.04.1950 - 28.10.1955 aus Moskau für 5½ Jahre Arbeitslager betrifft nur die Zeit in Russland. Die drei Jahre von 1947 - 1950 in den Potsdamer Gefängnissen und im Lager Sachsenhausen/Oranienburg wurden nicht beachtet.

Privatarchiv Rosel Blasczyk

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