workuta.de

Ursula
Rumin

geboren 1923
in Faulbrück

verstorben 2017
in Köln

Lebenslauf

2.12.1923 Geboren in Faulbrück (Kreis Reichenbach, Schlesien).
1937 - 1940 Kaufmännische Ausbildung und Ballettausbildung in Breslau, danach Tänzerin im Hiller-Ballett.
1946 Vertreibung aus der Heimat.
1949 Ankunft in Berlin, danach Journalistik-Volontariat beim "Ullstein Verlag".
1950 - 1952 Journalistin und Drehbuchautorin, auch für die ostzonale DEFA.
25.9.1952 Von West- nach Ost-Berlin gelockt und vom russischen Geheimdienst verhaftet. Anschließend Untersuchungshaft in Berlin-Karlshorst und Berlin-Lichtenberg.
4.12.1952 Verurteilung durch ein Sowjetisches Militärtribunal nach Artikel 58-6 des StGB der RSFSR wegen angeblicher "Spionage" und "konspirativer Zusammenarbeit mit dem Feind" zu 15 Jahren Zwangsarbeit. Anschließend Zwangsarbeit in Workuta.
21.1.1954 Entlassung über Fürstenwalde/Spree (DDR) nach West-Berlin.
Ab 1961 Redakteurin beim Westdeutschen Rundfunk in Köln.
1969 - 1984 Journalistin, Autorin und Redakteurin bei der Deutschen Welle Köln/Fernsehen, Frauenredaktion.
1983 Auszeichnung mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für ihr Engagement.
2001 Rehabilitierung durch die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation.
2004 - 2006 Zwei Reisen mit einem Filmteam nach Moskau, Brest-Litowsk und Workuta.
15.6.2017 Verstorben in Köln.

Biografisches

"Es war in Berlin im Herbst 1952. Männer der russischen Besatzungsmacht der viergeteilten Stadt hatten mich auf der Straße verhaftet. Den Grund dafür erfuhr ich erst später.

Anfangs saß ich in einer Einzelzelle, hatte Tag- und Nachtverhöre, kaum Schlaf. Ich wurde der Spionage bezichtigt, sollte gestehen, gegen die Sowjets gearbeitet zu haben, was ich energisch bestritt. Dann versuchten sie es mit Karzer, um eine Aussage zu erzwingen:

Ein sowjetischer Wachposten holt mich ab. Er führt mich nicht den üblichen Weg zum Verhör, es geht eine Etage tiefer, in den Keller. Vor einer Eisentür macht er Halt. Dann bekomme ich einen Stoß und stolpere mehrere Stufen hinab in ein dunkles Loch. Die Zelle ist leer, nur ein rostiger Eisenring in halber Höhe an der Wand, kein Fenster.

Mit einem Fluch verriegelt der Posten die schwere Tür. Ich bin allein. Das Licht erlischt, Finsternis um mich. Nur mit einem Gefängnishemd und einer alten Männerunterhose bekleidet, stehe ich mit nackten Füßen auf dem kalten Steinfußboden. Ich trete von einem Fuß auf den anderen. Angst schnürt mir die Kehle zu. Ich hocke mich an der Wand nieder und schlinge die Arme um die angezogenen Knie. Um mich Totenstille.

Da spüre ich es nass an meinen Füßen werden und taste erschrocken mit der Hand über den Boden. Wasser! Will man mich ertränken wie ein Stück Vieh? Ich lausche, doch kein Geräusch ist zu hören. Ich habe das Gefühl, hier begraben zu sein. Tiefe Resignation überkommt mich.

Das Wasser steigt, ich richte mich auf, an der Wand weiß ich den eisernen Griff, an dem ich mich festhalten werde, sollte das Wasser höher steigen. Ich fühle es eiskalt empor kriechen, jetzt reicht es bis über die Knöchel. Die Zähne schlagen mir aufeinander, vor Kälte und Angst.

Plötzlich geht das Licht an. Will man sehen, ob ich noch lebe? Geblendet schließe ich die Augen. Aber so schnell gebe ich nicht auf! Ein Lebenswille überkommt mich, wie ich ihn niemals zuvor gekannt habe.

Ich spüre, dass das Wasser langsam wieder sinkt, ist mein Martyrium beendet? Nur mit Mühe kann ich mich von dem Eisenring lösen, meine Hände haben sich verkrampft. In meinem Körper ist kein Leben mehr. Ich mache ein paar Bewegungen und schlage die Arme um mich. Ich friere entsetzlich. Das Licht erlischt. Wieder Dunkelheit. Das Wasser steigt abermals. Ich beiße die Zähne zusammen. Nein, nein, ich gebe nicht auf! Ich will leben!

Da kommen die ersten Worte des 'Vater unser' über meine Lippen, doch ich habe das Gebet vergessen. Wie lange ist es her, dass ich gebetet habe? Ich weiß es nicht. Wieder versuche ich, mit Gott zu sprechen, finde eigene Worte, halte Zwiesprache mit ihm, den ich so lange vernachlässigt habe. Ich spüre seine Nähe, ich bin ihm nahe, er hört mich, ich spüre es. Ich klage ihm mein Leid, warum lässt er so etwas zu? Ich bitte ihn, mich in der Stunde meiner größten Not nicht zu verlassen.

Langsam werde ich ruhiger, aber mein Bewusstsein lässt nach. Die Kälte, die Einsamkeit, die Verlassenheit sind so unerträglich, dass ich apathisch auf dem Boden hocke. Durst und Hunger spüre ich nicht mehr. Keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist, als ich von diesen Qualen erlöst werde. Irgendwann werde ich abgeholt, taumele in meine Zelle zurück und sacke zusammen.

Rumin, Ursula: Im Frauen-GULag am Eismeer, 4. Aufl. München (Herbig) 2012, S. 53f.

workuta.de