Aktuelles
Eintrag vom 23.11.2025 GEDENKTAFEL "LETZTE ADRESSE"
EHRUNG FÜR DIE GESCHWISTER JOHANNA UND KARL-HEINZ KUHFUSS
Feierliche Anbringung der Erinnerungstafel "Letzte Adresse" in Werder / Havel am 21. November 2025.
Ein Bericht von Stefan Krikowski
Bei eisiger Kälte, aber strahlendem Sonnenschein, wurde am 21. November 2025 die Erinnerungstafel „Letzte Adresse“ für das Geschwisterpaar Johanna und Karl-Heinz Kuhfuß an deren letzter Wohnadresse in der Carmenstraße 1 in der Baumblütenstadt Werder/Havel angebracht. Initiiert und organisiert wurde die feierliche Zeremonie vom Team MEMORIAL Deutschland, unter der Leitung von Dr. Anke Giesen und Mario Bandi, in Zusammenarbeit mit der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Brandenburg, Dr. Maria Nooke. Etwa 40 Gäste, darunter die Zeitzeugen Werner Bork und Prof. Dr. Sigurd Blümcke, nahmen an der Veranstaltung teil.
Die Grußworte sprachen Dr. Maria Nooke, Christoph Große (1. Beisitzer der Bürgermeisterin von Werder), Dieter Dombrowski (Vorsitzender der UOKG), Prof. Dr. Sigurd Blümcke und Werner Bork. Zu den Anwesenden zählten auch Maria Schultz, Leiterin der Potsdamer Gedenkstätte Lindenstraße, sowie Frank Ebert, Berliner Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Johanna Kuhfuß (*27.9.1928 in Cottbus) arbeitete in der elterlichen Konditorei in der Carmenstraße in Werder, ihr Bruder Karl-Heinz Kuhfuß (*11.12.1930 in Grünberg i. Schlesien) war als Lehrling in der berühmten Konditorei Wagenknecht in Berlin-Charlottenburg tätig.
Die Geschwister wurden am 10. Juni 1951 in der elterlichen Wohnung verhaftet und ins MGB-Gefängnis in der Potsdamer Lindenstraße gebracht. Noch im Herbst 1950 hatte Werner Bork seinen Freund Karl-Heinz Kuhfuß gewarnt, nicht nach Werder zurückzukehren und in West-Berlin zu bleiben – die Stasi sei ihnen bereits auf den Fersen. Doch Karl-Heinz, der sich keiner Schuld bewusst war und zusammen mit seiner Schwester in der elterlichen Konditorei aushelfen wollte, ignorierte die Warnung.
Denn der Werderaner Jugendwiderstand hatte 1950 Flugblätter gegen die Einheitslisten zur Volkskammerwahl der DDR verbreitet. Werner Bork, der sich bereits nach West-Berlin abgesetzt hatte, war mit der Gruppe "KgU" in Kontakt und hatte deren Flugblätter in Werder durch Freunde verteilen lassen.
Im Gefängnis Lindenstraße wurden die Geschwister Kuhfuß monatelang verhört und am 15. Januar 1952 in einem Gruppenprozess mit Wilhelm Schwarz und Joachim Trübe durch ein Sowjetisches Militärtribunal zum Tode verurteilt. Nach Ablehnung ihrer Gnadengesuche wurden alle vier am 10. April 1952 im Moskauer Butyrka-Gefängnis hingerichtet.
Die Eltern der Geschwister Kuhfuß wurden über das Schicksal ihrer Kinder in völliger Ungewissheit gelassen. Die Mutter zerbrach psychisch, der Vater beging Selbstmord.
Am 3. Oktober 1997 rehabilitierte die Russische Föderation die Geschwister Kuhfuß und gestand somit ein, dass die Todesurteile gegen Johanna und Karl-Heinz zu Unrecht gefällt wurden.
Impressionen

- Grußwort Sigurd Blümcke, Zeitzeuge, unterstütz von seiner Ehefrau Gisela.

- Zeichnung von Johanna Kuhfuß (li.) durch Sigurd Blümcke und Jugendfoto Karl-Heinz Kuhfuß

- Zeichnung Sigurd Blümcke vom Tribunalsaal, Gedenkstätte Lindenstraße, Potsdam

- Haftfotos Johanna (li.) und Karl-Heinz Kuhfuß

- Grußwort Werner Bork, Zeitzeuge

- Wohnhaus, in dem die Familie Kuhfuß ihre Bäckerei und Wohnung hatte.

- MEMORIAL Deutschland

- In den Bürgersteig eingelassene Stehle mit den zwei Gedenktafeln.

- Hier lebten: Johanna Kuhfuß und Karl-Heinz Kuhfuß. Möge ihr Andenken ein Segen sein.
Eintrag vom 18.11.2025 LENIN: DREI KREATIVVORSCHLÄGE
Drei kreative Vorschläge zum Umgang mit der Lenin-Statue in Schwerin
Offener Brief an den Landtag Mecklenburg-Vorpommern, an die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, an die Stadtvertretung und den Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Schwerin
15.11.2025
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin Hesse, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Landtages Mecklenburg-Vorpommern, sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Schwesig, sehr geehrte Frau Ministerin Martin, sehr geehrter Herr Stadtpräsident Ehlers, sehr geehrte Damen und Herren der Stadtvertretung Schwerin, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Badenschier,
in der Diskussion um den Umgang mit der Lenin-Statue in Schwerin forderte auch der Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur (MV) Herr Burghard Bley im Juni in einem TV-Interview, "…dieses Denkmal braucht eine sinnvolle Änderung, wenn man es denn stehen lässt."
Dr. Rico Badenschier, scheidender sozialdemokratischer Oberbürgermeister der Stadt Schwerin, meint, dass die im Jahr 1985 aufgestellte Lenin-Statue am Großen Dreesch zur Schweriner Stadtgeschichte gehöre. Kein Grund, meinen die Opferverbände des Kommunismus, sich nicht der Statue des Massenmörders Lenin, des Herrschaftsbildes der Sowjetunion, zu entledigen. Es wäre ein Akt der politischen Hygiene.
Die Entfernung des Lenin-Standbilds aus der Schweriner Öffentlichkeit würde einem Akt der Befreiung, einer "Durchtrennung der Nabelschnur" gleichen. Dies umso mehr, wenn man die sozialdemokratische "Moskau-Connection" – so der sprechende Titel des Buches der FAZ-Journalisten Reinhard Bingener und Markus Wehner über das Netzwerk des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit von Gas und Erdöl aus Russland – sowie den von Schröders Duz-Freund Wladimir Putin angezettelten Vernichtungskrieg gegen die Ukraine mitbedenkt. Die baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen sowie andere osteuropäische Länder sind diesen Schritt der Lossagung schon gegangen.
Aber da ein kreativer Umgang angemahnt wurde, präsentieren wir Ihnen gerne drei konstruktive Vorschläge, wie die Politik in MV sowie die Stadt Schwerin mit dem Lenin-Statue umgehen könnte:
1. Lenin einschmelzen
Das 3,50 Meter hohe Bronzestandbild von Lenin wird abgetragen und eingeschmolzen. Die Letten machten es uns bereits vor: https://liepaja-glocken.de
Eine kreative Aktion der Menschen von Liepāja: In den 1990-er Jahren trugen sie das Lenin-Denkmal in der Hafenstadt Liepāja ab, schmolzen es in Deutschland ein und stellten daraus hunderte kleine Glocken von etwa 15cm Höhe her, die sie für soziale Zwecke in Liepāja verkaufen.
So ähnlich könnte auch die Stadt Schwerin vorgehen: Sie könnte ihren Lenin einschmelzen und in kleine "Freiheitsglocken" gießen. Jeder Verkauf der kleinen Freiheitsglocken würde ausschließlich sozialen Zwecken der Stadt Schwerin zu Gute kommen!
Anstelle Lenins sollte der Widerstandskämpfer gegen die SED-Diktatur Arno Esch geehrt werden. Der Platz könnte nach ihm benannt und eine Stele mit einer Skulptur Arno Eschs errichtet werden. Auf einer Stele sollten die Eckdaten seiner Vita genannt werden. Zudem könnte der jetzige Betonplatz begrünt und mit Bäumen bepflanzt werden – als Beitrag zum Klimaschutz.
Der Jugendreferent der LDP Arno Esch wurde am 6. Februar 1928 im damals litauischen Memel (Kleipéda) geboren. Am 18. Oktober 1949 wurde Esch in der gerade gegründeten DDR von Mitarbeitern der sowjetischen Staatssicherheit in Rostock verhaftet und dem Sowjetischen Militärtribunal in Schwerin übergeben, das ihn am 20. Juli 1950 zum Tode verurteilte. Das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR lehnte Arno Eschs Begnadigung am 19. Juli 1951 ab. Fünf Tage später wurde er im Moskauer Butyrskaja-Gefängnis erschossen und seine Asche auf dem Donskoje-Friedhof verscharrt. Das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR rehabilitierte Arno Esch posthum am 30. Mai 1991.
Arno Esch ließ sich von der Maxime leiten, Menschen mit sachlichen Argumenten zu überzeugen. Er grenzte sich sowohl vom Marxismus als auch vom Nationalismus ab und suchte nach einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Sein politisches Selbstverständnis äußerte sich in dem Bekenntnis "Mein Vaterland ist die Freiheit". Arno Esch gehörte zu den Autoren des am 27. Februar 1949 beschlossenen Parteiprogramms der LDP und war Mitglied in deren Parteivorstand. (https://verurteiltundvergessen.de/biografie/arno-esch).
Der Name Arno Esch steht stellvertretend für alle Opfer, Widerstandskämpfer und für alle Verfolgten des Kommunismus, die die FREIHEIT suchten. Eine aus dem Lenin-Standbild gegossene Glocke könnte dem Denkmal für den Rostocker Studenten Arno Esch hinzugefügt werden.
2. Lenin Umsetzen
Das Lenin-Denkmal könnte abgetragen und im Innenhof des ehemaligen NKWD-Gefängnisses am Demmlerplatz wieder aufgestellt werden. Denn dort gehört der Diktator hin – er soll symbolisch lebenslänglich einsitzen.
"Recht muss doch Recht bleiben" – Diese Inschrift – eine Übersetzung des Psalms 94:15 aus der Lutherbibel – findet sich im ehemaligen Gefängnistrakt des Gerichtsgebäudes am Demmlerplatz. Sie ist auch Titel eines Buches über dieses Schweriner Justizgebäude und betont die hohe Legitimation und Unantastbarkeit von Gerechtigkeit.
Für Besucher wäre dieses Lenin-Standbild ein zusätzlicher Anlass, sich in der heutigen Gedenkstätte mit der kommunistischen Diktatur auseinanderzusetzen. Denn an diesem Ort sind in den Jahren von 1945 bis 1989/1990 tausende Menschen gedemütigt, gefoltert und zu langjährigen Haftstrafen oder gar zum Tode verurteilt worden.
3. Lenin bleibt hinter einer Gedenkmauer stehen
Wenn stimmen sollte, was Dr. Rico Badenschier findet, dass das Lenin-Standbild als Voraussetzung für eine konstruktive Auseinandersetzung mit unserer jüngeren Geschichte erhalten bleiben müsse, dann folgt hier unser letzter Vorschlag:
Vor dem Lenin-Standbild wird eine Gedenkmauer errichtet, auf der die Namen und Gesichter aller Personen verzeichnet sind, die zwischen 1950 und 1953 durch Sowjetische Militärtribunale im NKWD-Gefängnis am Demmlerplatz zum Tode verurteilt und in Moskau hingerichtet wurden.
Künstlerisches Vorbild könnte das Denkmal für die Berliner Mauertoten an der Bernauer Straße in Berlin sein. Dieses Denkmal von 2,70m Höhe, 12,50m Länge und 0,20m Tiefe zeigt 132 Gesichter und Namen.
Lenins umbenannte Tscheka (NKWD/MWD) ist für die Urteile in Schwerin verantwortlich. In diesem Kontext könnte die Lenin-Statue stehen bleiben – zur Mahnung und nicht als Ehrung! Für dieses neue Denkmal "Mauerwand" vor dem Lenin-Denkmal sollte die Stadt Schwerin einen Kunstwettbewerb ausschreiben.

Die Namen der in Moskau Erschossenen finden sich auf der Webseite https://donskoje1950-1953.de/.
Zu jedem Foto gehört ein Name. Jeder Name ist die Erinnerung an einen Menschen. Menschen, die man vergisst, sterben ein zweites Mal.
So hoffen die Opferverbände UOKG, VOS und die Lagergemeinschaft Workuta/Gulag Sowjetunion, dass die Stadt Schwerin und ihre politisch Verantwortlichen beherzt und kreativ einen unserer Vorschläge aufnehmen und umsetzen.
Mit freundlichen Grüßen,
Dieter Dombrowski, Vorsitzender der UOKG Andre Rohloff, VOS-Vorsitzender, Landesverband MV Stefan Krikowski, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion
...schließenEintrag vom 29.10.2025 PRESSEMITTEILUNG
Pressemitteilung: Öffentlicher Appell gegen den Denkmalschutz für die Lenin-Statue in Schwerin – ein Zeichen des Respekts vor den Opfern der Diktatur
Schwerin, 29. Oktober 2025
Mit einem öffentlichen Appell wenden sich zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Literatur und Bürgergesellschaft gegen die geplante Unterschutzstellung der Lenin-Statue in Schwerin. Den offenen Brief unterzeichneten mehr als ein Dutzend namhafter Persönlichkeiten, darunter der Vorstand von MEMORIAL Deutschland, der Schriftsteller Marko Martin, der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk sowie Vertreter von Opferverbänden und ehemalige politische Häftlinge.
In dem Schreiben appellieren sie an den Landtag und die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns sowie an die Stadtvertretung und den Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Schwerin, den Denkmalschutz für die Lenin-Statue zu verhindern. Lenin sei kein Symbol der Befreiung, sondern der Begründer eines totalitären Systems, das Millionen Menschen entrechtet, verfolgt und ermordet habe. Eine staatliche Ehrung dieser Figur bedeute, so die Unterzeichner, eine Verhöhnung der Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft.
Die Initiatoren erinnern daran, dass in Schwerin im Zeitraum 1950-1953 über 100 Menschen nach Unrechtsurteilen eines Sowjetischen Militärtribunals hingerichtet wurden, darunter der liberale Student Arno Esch. "Ehren Sie nicht Lenin, ehren Sie Arno Esch. Nicht den Täter, sondern die Opfer. Nicht die Diktatur, sondern den Mut zur Freiheit", heißt es im Appell.
Gerade im Jahr des 35. Jubiläums der deutschen Wiedervereinigung, das vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine überschattet wird, wäre ein solcher Schritt nicht nur innenpolitisch, sondern auch außenpolitisch fatal. Staaten wie Estland, Lettland, Litauen, Polen und die Ukraine hätten sich nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen bewusst von den Lenin-Statuen getrennt, um ihre demokratische Emanzipation sichtbar zu machen. Ein gegenteiliger Schritt in Mecklenburg-Vorpommern würde ein irritierendes Signal an unsere osteuropäischen Partner senden. Der Denkmalstatus für Lenin sei unvereinbar mit der historischen Verantwortung Deutschlands und der notwendigen Solidarität mit den Menschen, die heute unter einem neuen russischen Imperialismus leiden.
Der vollständige Offene Brief ist beigefügt.
Hintergrund:
Seit vielen Jahren protestieren Überlebende des GULAG-Lagersystems der Sowjetunion sowie Verfolgte der sozialistischen Diktatur in der DDR gegen die Lenin-Statue in Schwerin. Bereits mehrfach haben sich sich mit Petitionen an die Stadt und das Land Mecklenburg-Vorpommern gewendet, um das Symbol des "Roten Terrors" beseitigen zu lassen. Zuletzt gab es im Juni 2025 vor Ort eine Gedenk- und Protestveranstaltung der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG). Mit ihr wurde zugleich an die im Zeitraum 1950 bis 1953 von einem Sowjetischen Militärtribunal in Schwerin zu Unrecht zum Tode verurteilten über 100 Menschen erinnert.
Das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern plant nun aktuell die Unterschutzstellung der Lenin-Statue in Schwerin. Die überlebensgroße Figur soll zu einem Denkmal erklärt werden. Der Vorgang benötigt nach Denkmalschutzrecht die Zustimmung der Eigentümerin, in diesem Fall die der Landeshauptstadt Schwerin. Zu diesem Zweck gibt es momentan eine Beschlussvorlage der Schweriner Stadtverwaltung an die Stadtvertretung der Landeshauptstadt. Zu diesem Vorgang gehört eine Denkmalwertbegründung des Landesamtes. Beides kann im Bürgerinformationssystem der Stadt Schwerin unter folgendem Link eingesehen werden:
SessionNet | Bürgerinformationssystem der LHS Denkmallisteneintragung Lenin-Statue
Die Stadtvertretung Schwerin wird voraussichtlich am 10.11.2025 über diese Beschlussvorlage entscheiden.
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Ansprechpartner für Rückfragen von Medienverter*innen:
Dieter Dombrowski Stefan Krikowski Arndt Müller, V.i.S.d.P.
Hinweis: Beiliegende Fotos zeigen die Lenin-Statue in Schwerin im Zusammenhang mit Protestaktionen von Menschen, die in der Zeit der SED-Diktatur in der DDR aus politischen Gründen verfolgt und entrechtet wurden. Die Fotos können im Zusammenhang mit der Berichterstattung zu dieser Pressemitteilung kosten- und lizenfrei unter Nennung des Bildautoren verwendet werden. Bildautor: Stefan Krikowski/ Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion.
- Protestaktion, Juni 2025
- Protestaktion, Juni 2016
- Protestaktion, Juni 2016
Eintrag vom 29.10.2025 OFFENER BRIEF
Kein Denkmalschutz für die Lenin-Statue in Schwerin – kein Denkmal für den Ursprung von Gewalt und Unterdrückung
Offener Brief an den Landtag Mecklenburg-Vorpommern, an die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, an die Stadtvertretung und den Oberbürgermeister derLandeshauptstadt Schwerin 27.10.2025
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin Hesse, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Landtages Mecklenburg-Vorpommern, sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Schwesig, sehr geehrter Herr Stadtpräsident Ehlers, sehr geehrte Damen und Herren der Stadtvertretung Schwerin, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Badenschier,
mit tiefer Sorge und Unverständnis haben wir erfahren, dass die Lenin-Statue in Schwerin unter Denkmalschutz gestellt werden soll. Wir appellieren eindringlich an Sie: Verhindern Sie diesen Schritt!
Wladimir Iljitsch Uljanow war kein Vorkämpfer der Freiheit, sondern der Begründer eines totalitären Systems, das auf Gewalt, Unterdrückung und der systematischen Vernichtung politischer Gegner beruhte. Unter seiner Führung begann das, was Millionen Menschen in Europa das Leben kostete: der Rote Terror, die Entrechtung ganzer Völker, die Unterdrückung von Meinungsfreiheit, Religion und Selbstbestimmung.
In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und späteren DDR setzten sich diese Strukturen fort – auch in Mecklenburg-Vorpommern. Gerade in Schwerin selbst wurden allein im Zeitraum 1950 bis 1953 von einem Sowjetischen Militärtribunal über 100 Todesurteile verhängt. Zu den Opfern dieses Unrechts zählte auch der liberale Student Arno Esch, der 1951 in Moskau hingerichtet wurde, nur weil er für Freiheit und Demokratie eintrat. Eine Lenin-Statue unter Denkmalschutz zu stellen bedeutet für die noch heute lebenden, ehemals zu Unrecht eingekerkerten Menschen und ihre Angehörigen eine unerträgliche Verhöhnung ihrer Leiden. Wir sollten diesen mutigen Menschen gedenken, die für Freiheit, Recht und Menschenwürde standen. Nicht dem Mann, in dessen Schatten sie ermordet wurden
Bei der Denkmalbewertung durch die obere Denkmalbehörde Mecklenburg-Vorpommerns, das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege, wird aus unserer Sicht die Opferperspektive nur sehr unzureichend berücksichtigt. Seit Jahrzehnten fordern Verbände von Opfern der kommunistischen Gewaltherrschaft, die Lenin-Statue in Schwerin zu entfernen oder wenigstens nicht staatlich zu ehren. Sie sehen in ihr ein Symbol der Unterdrückung, nicht der Befreiung. Ihre Forderungen ernst zu nehmen, wäre ein Akt des Respekts, der Menschlichkeit und der historischen Verantwortung.
Gerade jetzt, da Russland unter Wladimir Putin erneut Krieg führt, Nachbarländer überfällt und die Ukraine in Schutt und Asche legt, ist die Unterschutzstellung einer Lenin-Statue mehr als nur unsensibel. Putins Bomben auf Charkiw und Cherson, die Deportationen ukrainischer Kinder, die Zerstörung von Städten, Kulturstätten und Leben sind Ausdruck jenes imperialen Denkens, das seine Wurzeln im leninistischen und stalinistischen Russland hat. Deshalb wäre der Denkmalschutz für die Lenin-Statue ein Schlag ins Gesicht all jener, die heute unter der gleichen Ideologie der Gewalt und des Imperialismus leiden, die einst mit Lenin begann. Für die Menschen in Kyjiw, Riga, Vilnius oder Tallinn – Städte, in denen Lenin-Statuen bewusst entfernt wurden, um sich von der sowjetischen Diktatur zu emanzipieren – wäre es schwer nachvollziehbar, wenn ausgerechnet in Mecklenburg-Vorpommern ein Symbol dieser Gewaltherrschaft als "denkmalwürdig" erklärt würde.
Der Historiker und diesjährige Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Karl Schlögel, hat früh und klar vor der Wiederkehr dieses russischen Imperialismus gewarnt. Er mahnt, dass Europa sich seiner Geschichte stellen muss und dass das Wegsehen gegenüber den Verbrechen der Vergangenheit den Boden für neues Unheil bereitet. Wer heute eine Lenin-Statue als Denkmal schützt, hat diese Mahnung nicht verstanden.
Mecklenburg-Vorpommern hat in den vergangenen Jahren mit seiner allzu großen Nähe zu russischen Interessen bereits Vertrauen verspielt. Umso wichtiger ist es jetzt, glaubwürdig zu zeigen, dass dieses Land auf der Seite der Freiheits- und Widerstandskämpfer, der Opfer des Unrechts und der historischen Wahrheit steht.
Wir appellieren an Sie: Ehren Sie nicht Lenin, ehren Sie Arno Esch. Nicht den Täter, sondern die Opfer. Nicht die Diktatur, sondern den Mut zur Freiheit.
Wir wollen Geschichte nicht entsorgen. Daher regen wir an, die Lenin-Statue zu entfremden, mit Pflanzen überwuchern zu lassen oder mit entsprechenden Hinweistafeln im Innenhof des ehemaligen KGB-Gefängnisses am Demmlerplatz in Schwerin aufzustellen.
Mit Nachdruck und in Verantwortung für die Geschichte, die Würde der verfolgten Freiheits- und Widerstandskämpfer sowie der Opfer des kommunistischen Terrors,
Der Vorstand von MEMORIAL Deutschland e.V.
Dieter Dombrowski, Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V.
Stefan Krikowski, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion e.V.
Arndt Müller, Mitglied der Stadtvertretung Schwerin (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/Die PARTEI)
Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk, Historiker
Marko Martin, Schriftsteller
Dr. Burkhart Veigel, Arzt, Fluchthelfer, Schriftsteller
Frieder Wirth, GULAG-Zeitzeuge, Workuta-Häftling von 1952 - 1955
Grit Poppe, Autorin
Gunnar Senst, Beisitzer im Vorstand der Arno Esch Stiftung e.V.
Johann-Georg Jaeger, Ehemaliges Mitglied des Landtages Mecklenburg-Vorpommern (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen)
Alexander W. Bauersfeld, ehemaliger politischer Häftling der sozialistischen DDR-Diktatur
Dr. Meinhard Stark, Historiker und Journalist, Autor mehrerer Bücher über den GULAG
Dr. Peer Lange, ehem. und wg. 'politischer Repression' rehabilitierter GULAG-Häftling
Dr. Klaus-Rüdiger Mai, Schriftsteller, Historiker, Publizist
Peter Wensierski, Autor, Journalist und Dokumentarfilmer
Dr. Bert Pampel, Leiter der Dokumentationsstelle Dresden / Stiftung Sächsische Gedenkstätten
Dr. Karl-Konrad Tschäpe, Historiker
Gisela Rüdiger, Vorstand "Gedenk- und Begegnungsstätte eh. KGB-Gefängnis Potsdam" e.V.
...schließenEintrag vom 20.09.2025 EHRUNG FÜR EDDA AHRBERG
Am 17. September 2025 ehrte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff Edda Ahrberg mit dem Verdienstorden des Landes.
Pressemitteilung des Beauftragten des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Magdeburg, 15. September 2025.
Aufarbeitungsbeauftragter Beleites begrüßt die Auszeichnung von Edda Ahrberg mit dem Verdienstorden
Der Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Johannes Beleites, begrüßt die Auszeichnung seiner Amtsvorgängerin Edda Ahrberg mit dem Verdienstorden des Landes durch Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff am 17. September. "Ich kenne Edda Ahrberg seit ihrer Amtsübernahme als erste Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt im Jahre 1995. Sie hat diese Behörde mit großem Engagement aufgebaut und zu einer Anlaufstelle für Opfer und Betroffene der SED-Diktatur werden lassen", erklärte Beleites. Gerade in den 1990er Jahren sei es eine Pionierarbeit gewesen, den Betroffenen von SED-Unrecht eine Stimme zu geben, die Öffentlichkeit, aber auch die Gesetzgeber und die Verwaltung für die verschiedenen Facetten des SED-Unrechts zu sensibilisieren und für die aus politischen Gründen Verfolgten angemessene Rehabilitierungs- und Entschädigungsmöglichkeiten zu erreichen.
Auch nach ihrem regulären Ausscheiden aus dem Amt im Jahr 2005 engagierte sich Edda Ahrberg ehrenamtlich weiterhin für die Belange der Betroffenen des SED-Unrechts, so in der Vereinigung der Opfer des Stalinismus und im Stiftungsrat der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt. Ein besonderes Anliegen war und ist ihr die Aufarbeitung der Verfolgung durch die sowjetische Besatzungsmacht. Dazu publizierte sie wiederholt und setzte sich erfolgreich für die Errichtung des 2016 in Tangermünde aufgestellten Gedenksteins für die dort zum Weitertransport in das sowjetische Speziallager Sachsenhausen vorgesehenen deutschen Zivilinternierten ein.
"Persönlich habe ich mit Edda Ahrberg in verschiedenen Gremien der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland zur Aufarbeitung der Verstrickung der Vorgängerkirchen mit der SED-Diktatur zusammengearbeitet. Hier zeichnete sich Edda Ahrberg durch ein besonderes Engagement und eine besondere Sensibilität bei der Bewertung der oftmals schwierigen Einzelfälle aus", erinnert sich Beleites.
"Gerade im 30. Jahr nach der Schaffung des Amtes eines Aufarbeitungsbeauftragten in Sachsen-Anhalt ist die Verleihung des Verdienstordens für Edda Ahrberg nicht nur eine verdiente persönliche Auszeichnung, sondern auch ein wichtiges Zeichen der Anerkennung, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Einsatz für die Betroffenen von SED-Unrecht auch weiterhin wichtige Anliegen des Landes sind."

- Edda Ahrberg mit Dr. Reiner Haseloff (c) Staatskanzlei und Ministerium für Kultur des Landes Sachsen-Anhalt
Aus der Dankesrede Edda Ahrbergs: "Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, damit, dass Sie sich für mich entschieden haben, bekommt das Thema "Aufarbeitung der SED-Diktatur" aus einer weiteren Perspektive Aufmerksamkeit. Dafür danke ich Ihnen. Ich nehme diese hohe Ehrung mit Demut an, wohl wissend, dass die aufzuarbeitende Zeit davon geprägt war, dass sehr viele Menschen unermessliches Leid in der Sowjetischen Besatzungszone und DDR zu ertragen hatten."
Auch die Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion gratuliert Edda Ahrberg herzlich zur verdienten Auszeichnung. Mit der Lagergemeinschaft war und ist Edda Ahrberg seit Beginn ihrer Ernennung zum Landesbeauftragten stets eng verbunden gewesen und hat sie stets tatkräftig unterstützt. Es war maßgeblich ihr Verdienst, dass eine Delegationsreise der Lagergemeinschaft aus Anlass des 60. Jahrestages der Niederschlagung des Aufstandes am 1. August 2013 bei der Gedenkfeier in Workuta anwesend war. ...schließen
Eintrag vom 16.09.2025 HEINI FRITSCHE IST TOT
Am 21. August 2025 starb Heini Fritsche im Alter von 95 Jahren. Nach schwerer Krankheit fand er nun seine letzte Ruhe. Ein Nachruf von Anne Drescher
Heini Fritsche wurde am 2. Oktober 1929 in Leipzig geboren. Im Dezember 1945 trat er der SPD bei und wurde nach der Zwangsvereinigung in die SED übernommen, der er bis zu seiner Inhaftierung im August 1951 angehörte. Seit 1949 hatte er Kontakte zum Ostbüro der SPD und zum RIAS und gab Informationen zu den politischen Geschehnissen in der sowjetischen Besatzungszone weiter. Er selbst sagte in einem früheren Gespräch dazu: "Zu sehr war mir bewusst, dass man uns eine neue Diktatur überstülpte, dabei unter falscher Flagge des Antifaschismus segelte und den Begriff Demokratie pervertierte, …". Dem wollte er und seine Freunde damals etwas entgegensetzen.

- Heini Fritsche, Jahrestreffen der Lagergemeinschaft Workuta, Potsdam 2018
Rückblickend äußerte er, dass er und seine Freunde im Nachkriegsdeutschland durch die Offenlegung der geheimen Vorgänge helfen wollten, dem SED-Regime die Maske vom Gesicht zu reißen und mit ihrem Wissen einen Beitrag zur Warnung der wiedererstandenen Demokratie im Westen zu leisten. Und: „Wir wussten von Anfang an, dass wir unsere Freiheit, sogar unser Leben aufs Spiel setzen würden. Dennoch waren wir entschlossen.“ Es war ein hoher Preis, den sie dafür zahlen mussten.
Die Bedingungen der Lagerhaft in der Sowjetunion haben es nicht geschafft, ihn zu brechen. Die Erfahrungen im sowjetischen GULag wurden zu einem Lebensthema für ihn. Nach der Rückkehr gab das Zusammensein mit den früheren Mitstreitern im Widerstand und den Haftkameraden Halt, Heimat und Geborgenheit. Seit den 1990er Jahren setzte sich Heini Fritsche sehr engagiert für die Rehabilitierung seiner Kameraden ein. Er übersetzte die Rehabilitierungsbescheide, die aus Moskau eintrafen und bemühte sich, die Angehörigen der rehabilitierten GULag-Häftlinge ausfindig zu machen, um ihnen die Bescheide zusenden zu können.
2003 erhielt er das Bundesverdienstkreuz für seine ehrenamtliche Tätigkeit in diesen Rehabilitierungsangelegenheiten.
In dieser Zeit der frühen 1990er Jahre liegt auch meine erste Begegnung mit Heini Fritsche. Durch seine Suche nach den Adressen der Familien der Rehabilitierten wandte er sich auch an unsere Landesbeauftragtenbehörde. So viel konnte ich als Vertreterin einer späteren Generation von ihm lernen. Er beeindruckte mich mit seiner gradlinigen Haltung, seinem klaren Blick auf die politischen Verhältnisse in der Sowjetunion/Russland. In politischen Diskussionen hatte er sich stets klar geäußert, aber er konnte auch trennen zwischen den politischen Verhältnissen und den russischen Menschen.
Wir haben so viele Erinnerungen an ihn, an Begegnungen im Zusammenhang mit Veranstaltungen der Lagergemeinschaft GULag, an viele Gespräche miteinander, an seine Freundlichkeit. Er war ein wertvoller Zeitzeuge und es war so wichtig, dass er seine Erinnerungen aufgeschrieben hat und wir diese an jüngere Generationen weitergeben können.
In dieser Zeit der Trauer denken wir besonders an seine Ehefrau Hubertine Fritsche, die nun nach 62 gemeinsamen Ehejahren von ihrem Mann Abschied nehmen musste.
Wir werden Heini Fritsche mit seinem großen Engagement und unseren Eindrücken aus vielen Begegnungen und Gesprächen in guter und dankbarer Erinnerung behalten.
...schließenEintrag vom 24.08.2025 23. AUGUST - GEDENKTAG
Anlässlich des europäischen Gedenktages am 23. August lud die Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemaliges KGB-Gefängnis Potsdam e.V. zu einer Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer aller totalitärer und autoritärer Regime ein. An der Mauer des ehemaligen sowjetischen Gefängnisses in der Leistikowstraße legten verschiedene Initiativen und Verbänden Kränze ab und gedachten während des Glockengeläuts von der Pfingstkirche in Stille der Opfer. In der Villa Quandt begrüßte die Vorsitzende Gisela Rüdiger dann die Gäste. Die Grußworte hielten Torsten Wiegel, Beigeordneter für Bildung, Kultur, Jugend und Sport der Stadt Potsdam und Stefan Krikowski, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion. Der Vortrag hielt Claudia Weber, Professorin für Europäische Zeitgeschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) zum Thema Eine mörderische Allianz. Zur Gewaltgeschichte des Hitler-Stalin-Pakts, 1939-1941. Das Grußwort von Stefan Krikowski können Sie hier nachlesen.
Liebe Frau Rüdiger, liebe Mitglieder des Gedenkstätten Vereins der Gedenk- und Begegnungsstätte ehemaliges KGB-Gefängnis Leistikowstr., sehr geehrte Damen und Herren,
als Vorsitzendem der Lagergemeinschaft Workuta Gulag/Sowjetunion ist es mir eine Ehre, an diesem europäischen Gedenktag für die Opfer von Stalinismus/Kommunismus und Nationalsozialismus ein Grußwort an Sie zu richten. Mein Name ist Stefan Krikowski.
"Hoffen wir, dass bei der nächsten Gedenkfeier in zehn Jahren, 2015, die Erfahrung des GULAG in unser kollektives europäisches Gedächtnis eingegliedert worden ist".
– so Jorge Semprun in seiner Buchenwald-Rede im Jahr 2005.
Es scheint eigenartig, dass mein Vater, Johannes Krikowski, ein Überlebender vom Gulag-Workuta, uns Kindern zunächst ausschließlich über die Judenvernichtung im 3. Reich berichtete. So wurde die Schoa durch gemeinsame Besuche der Konzentrationslager Dachau oder Buchenwald in früher Kindheit und Jugend mit unserem Vater zu prägenden Erfahrungen.
Womöglich führte die religiöse Erziehung unserer Eltern zur Sensibilisierung, dass deutsche Christen durch die Ermordung von 6 Millionen Juden unendliche Schuld auf sich geladen hatten. Denn das Lageraufsichtspersonal von Auschwitz bestand ja aus getauften Christen.
Mein Vater rezitierte häufig die Bibel, Sacharja 2, Vers 12: "Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an." Wer sich am jüdischen Volk vergreift, greift Gott persönlich an.
Und wie in der Schoa so werden auch heute das jüdische Volk und der Staat Israel existentiell bedroht. Das iranische Regime und seine Proxys, die Hamas im Gazastreifen, die Hisbollah im Libanon und die Huthis in Jemen, wollen das Werk Hitlers vollenden. Sie meinen es ernst. Und wir sollten sie ernst nehmen.
Durch regelmäßige Israelbesuche in den letzten 30 Jahren habe ich viele Überlebende der Schoa kennengelernt. Dafür bin ich sehr dankbar. Vielleicht kennt jemand die Namen Ester Golan, Noah Klieger, Naftali Fürst oder Halina Birenbaum. Sie haben mich und meine Frau bei den Besuchen in Israel stets herzlich aufgenommen, kulinarisch mit orientalischem Essen mit europäischem Einschlag bestens versorgt und beherbergt. Für sie, die Überlebenden der Schoa, war das selbstverständlich. Aus meiner Sicht als Deutscher: ein Wunder! Viele Shoa-Überlebende sind mittlerweile verstorben. Von den genannten Personen leben nur noch Halina Birenbaum in Herzliya und Naftali Fürst in Haifa, der zur einzigen jüdischen Familie aus Bratislava gehört, in der Eltern und Kinder überlebt haben. Für die Überlebenden waren die 12 Jahre der nationalsozialistischen Diktatur kein "Vogelschiss der Geschichte".
Halina Birenbaum, geboren 1929 in Warschau, hat in der Schoa ihre gesamte polnisch-jüdische Familie verloren. Einzig sie und ihr Bruder Marek überlebten. Ihr Vater wurde in Treblinka ermordet, ihre Mutter in Majdanek. Halina überlebte Auschwitz und im Januar 1945 den Todesmarsch nach Deutschland ins völlig überfüllte Frauenlager Ravensbrück. Befreit wurde Halina am 2. Mai 1945 im KZ Neustadt-Glewe durch die sowjetische Armee. Bei Kriegsende war Halina Birenbaum 15 Jahre alt, eine Kindgreisin, wie sie selber einmal sagte. Bis heute erzählt sie ihre Geschichte vor Schulklassen oder anderen Gruppen. Sie war auch häufig zu Besuch in Berlin und Potsdam.
Elie Wiesel, Primo Levi, Jean Amery oder Halina Birenbaum berichten uns über die nationalsozialistischen Verbrechen in Konzentrations- und Vernichtungslagern.
Alexander Solschenizyn, Warlam Schalamow oder Horst Schüler berichten uns über den Gulag und über das Lagersystem von Kolyma und Workuta. Von Schalamow heißt ein Band "Erzählungen aus Kolyma" ein anderer "Erinnerung über die Kolyma".
Die Berichte der Zeitzeugen beider totalitärer Systeme stehen nebeneinander. Sie dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, um etwa das eine Leid gegenüber dem anderen Leid höher zu bewerten, zu nivellieren, gleichzusetzen oder zu verharmlosen. Nein, im Gegenteil. Sie ergänzen und durchdringen einander.
Horst Schüler, der langjährige Vorsitzende der UOKG- und Lagergemeinschaft Workuta, vereinte beide Diktaturerfahrungen in seiner Familiengeschichte. Er war ein Jahrhundertzeitzeuge, ähnlich wie auch Erwin Jöris oder Margarete Buber Neumann.
Ich möchte Ihnen ein Zitat aus seinem Buch „Workuta“ vorlesen. Es verdeutlicht die doppelte Diktaturerfahrung in räumlich und zeitlich naher Abfolge.
"Mein Vater war ein überzeugter Sozialdemokrat und Gewerkschafter. Die Nazis hasste er wie die Pest. Am 4. November 1940 verhafteten sie ihn in Berlin, er hatte mal wieder seiner Verbitterung über Hitler, über den Krieg Luft gemacht und war von einer Frau angezeigt worden. Volksgerichtshof, Gefängnis Moabit, Konzentrationslager Sachsenhausen – das waren seine nächsten Stationen. Nie werde ich vergessen, wie ich ihn einmal besuchen durfte, (Anm. Horst Schüler meint das Gefängnis Lindenstr.) er wischte den Fußboden auf und blickte scheu zu so einem Riesenkerl hoch, der sich lässig mit einer Peitsche die Schaftstiefel klopfte. Immerhin, er gestattete mir leutselig, dem Vater ein paar Zigaretten zuzustecken. Zwei Jahre später bekam meine Mutter ein Paket von der Lagerverwaltung (Anm. Horsten Schüler meint das KZ Sachsenhausen). Es enthielt seine Zivilkleidung, eine Konservendose mit einer Handvoll Asche und die Sterbeurkunde meines Vaters. Die Rubrik 'Todesursache' war nicht ausgefüllt worden. Der Gram und Kummer fraßen Mutter auf, sie überlebte ihren Mann nur um ein paar Monate. Mich holten sie zehn Jahre später, wie meinen Vater. Auf den Tag genau. Ein Zufall?"
Horst Schüler wurde im November 1951 von den Kommunisten verhaftet und ins Gefängnis Lindenstraße eingeliefert. Exakt 10 Jahre vorher im November 1941 war sein Vater Fritz Schüler bei den Nazis im selben Gefängnis inhaftiert.
Anfang der 1990er Jahre gingen fast alle ehemaligen Gulag-Häftlinge in den wohlverdienten Ruhestand. Aber es war wohl eher ein Unruhestand. Die Aufarbeitung der Verbrechen der sowjetischen Besatzungsmacht beschäftigte fast alle ehemaligen Inhaftierten: Akteneinsicht in der BStU Behörde, Beantragungen von Rehabilitierungen in Moskau, Zeitungsartikel über neue Enthüllungen. Manche Häftlinge organisierten in den 1990-er Jahren sogar Fahrten nach Workuta.
Einige der früheren Häftlinge bekamen in der "Höhle des Löwen" – in der Lubjanka – sogar Einsicht in ihre persönlichen Akten. Und für ein bisschen "Bakschisch" – also Schmiergeld – erhielten sie Kopien ihrer Original-Akten. Horst Hennig oder Roland Bude wussten, wie man etwas "organisierte". Es war das einmalig günstige Zeitfenster in den 1990er Jahren.
Im Gegensatz zum Gefängnis in der Lindenstraße wurde im KGB-Gefängnis Leistikowstraße ausschließlich sowjetisches Unrecht gesprochen und verbrochen.
Am Gruppenprozess um Frieder Wirth zeigt sich das ganze Ausmaß der kommunistischen Verbrechen in der Leistikowstraße. Mit Frieder Wirth wurden am 16. Juli 1952 drei Kameraden durch ein SMT zum Tode verurteilt. Drei weitere Personen erhielten hohe Haftstrafen von 25 Jahren.
Am 22. Oktober 1952 wurde Frieder Wirth im Moskauer Butyrka-Gefängnis begnadigt. Er wurde aus der Todeszelle in eine andere Zelle verlegt. Dort wartete er auf ein Wiedersehen mit seinen Freunden Heinz Baumbach, Heinz Eisfeld und Helmut Paichert. Sie kamen jedoch nicht, sondern wurden am 23. Oktober 1952 hingerichtet. Am 30. August 2019 hat MEMORIAL-Deutschland in einer feierlichen Zeremonie die deutschlandweit erste Gedenktafel "Letzte Adresse" für Heinz Baumbach an dessen letzter Wohnadresse im thüringischen Städtchen Treffurt angebracht.
Helmut Tisch, Hans-Günter Aurich und Frieder Wirth mussten Zwangsarbeit in Workuta ableisten. Ulrich Kilger wurde in ein Lager nach Taischet deportiert. Die Freunde um Frieder Wirth waren alle in den Jahren von 1931 bis 1933 geboren und zum Kriegsende 1945 noch Kinder, die nicht in Naziverbrechen verstrickt gewesen sein konnten.
Die Lagergemeinschaft Workuta ist Grit und Niklas Poppe dankbar, dass sie mit ihrem umfangreichen Werk „verschleppt, verbannt, verschwunden“ die vielen Zeitzeugen des Gefängnisses Leistikowstraße ehren, anerkennen und würdigen.
Vor allem Hans Günter Aurich und Bodo Platt haben sich im Ruhestand für die Aufarbeitung der Verbrechen der ehemaligen sowjetischen Besatzungsmacht in der Leistikowstraße eingesetzt. Gegen Ende ihrer Lebenszeit waren aber beide ernüchtert und resigniert ob der Nichtwürdigung und Möglichkeiten der Partizipation.
Es sind der Tonfall und die Nuancen in der Deutungshoheit der Geschichte… Ja, ihre Opfergeschichten und ihr Widerstand gegen das kommunistische Regime wurden von offizieller Seite unzureichend berücksichtigt bei der Ausgestaltung der Ausstellungsräume in der Gedenkstätte Leistikowstraße.
Lassen Sie mich zum Schluss Ralph Giordano zitieren, der als verfolgter Jude in der Nazizeit die richtigen Worte auch für das andere schreckliche totalitäre Unrechtssystem fand. Sein nach wie vor hochaktueller Artikel erschien im SPIEGEL 1992.
"Dieselben Leute, die sich jede Parallelisierung ihrer heutigen Aufarbeitungsabwehr mit der von Hitler-Anhängern nach 1945 energisch verbitten, bringen sich durch ihr eigenes Verhalten in die Nähe der Entnazifizierungskümmerlinge von einst. Beide halten absichtsvoll Stalinismus und Nazismus als Meßmodelle aneinander, um zu dem jeweiligen Schluß zu gelangen, der eine sei ‚schlimmer‘ als der andere. Auf solchen Tiefpunkt, auf diesen Hund greulicher Analogien ist die trauerunfähige Linke inzwischen gekommen. Es gibt keinen Grund, sie für weniger erbärmlich zu halten als die Abwiegler, Beschöniger und Verdränger auf der Rechten.
Ja, Auschwitz war das größte Menschenschlachthaus der Geschichte, ich bin ein Anhänger der historischen Singularität des staatlich institutionalisierten Nationalsozialismus. Aber wie verkommen muß man sein, diese Einzigartigkeit anzuführen, um dahinter die Monstrosität von Workuta zu verstecken? Wer eine Rangordnung von Opfern '1. und 2. Klasse' einführen will, der will das gleiche auch für Täter.
Als wenn ein Leichenberg dadurch aufgehoben wird, daß es noch andere gibt! Hier stinken zwei universale Scheußlichkeiten zum Himmel, und das ist die einzige Logik, die unser Jahrhundert und alle folgenden Jahrhunderte aus der Existenz von Nazismus und Stalinismus ziehen können."
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Prof. Weber verwies in ihrem Vortrag u.a. auf die extrem prekäre Situation der jüdischen Flüchtlinge im polnischen Grenzort Przemyśl hin, der westlich der San dem Deutschen Reich und östlich der Sowjetunion einverleibt war. Hier trafen tausende Juden, die vor Nazi-Deutschland nach Osten fliehen wollten auf Juden, die vor der aufrückenden Roten Armee nach Westen fliehen wollten. In diesem Zusammenhang möchte ich das Buch von Julius Margolin: Reise in das Land der Lager. (1. Auflage, Berlin, Suhrkamp Verlag, 2013) empfehlen.
1. September 1939. Julius Margolin, Bürger mit polnischem und britischem Pass, der seit kurzem mit Frau und kleinem Sohn in Palästina lebt, hält sich in Lodz auf, als die Wehrmacht sein Land überfällt. Im Auto flieht er nach Osten, vorbei an den Flüchtlingstrecks, die von den Deutschen bombardiert werden. Doch der Schwarzmeerhafen Constanza, wo er sich nach Haifa einschiffen wollte, bleibt unerreichbar: Als die Rote Armee am 17. September in Ostpolen einmarschiert, wird die rumänische Grenze abgeriegelt. Auf seiner Odyssee durch das von Hitler und Stalin eingekeilte östliche Europa wird er Zeuge, wie Juden auf den Marktplätzen die Sowjets als Befreier bejubeln, wie ihre Begeisterung im Laufe des Winters in Entsetzen umschlägt, als die Behörden hebräische Bücher verbieten und schließlich die jüdische Bevölkerung aus der Stadt vertreiben. 1941 wird er verhaftet und in ein Straflager am Weißmeerkanal deportiert. Halbtot, zufällig gerettet, schreibt er 1947 in Israel nieder, was ihm geschah. Doch niemand wollte etwas hören von Lagern im Land der »Befreier vom Faschismus«. Erst heute erscheint sein Zeugnis ungekürzt auf Deutsch. Ungewöhnlich ist nicht nur der Horizont des Berichts, der Holocaust und sowjetische Vernichtungspolitik umschließt. Margolin, dessen Buch in Ton und Haltung an Primo Levi erinnert, ergreift den Leser, weil er als Leidender wie als Zeuge auf seine Rechte pocht und sich wie ein Mensch aus einer anderen, besseren Welt verhält.
Impressionen vom Gedenktag




Informationen zu vorherigen Gedenktagen:
https://www.kgb-gefaengnis.de/22-0-Veranstaltungen.html
Eintrag vom 19.06.2025 LENIN MUSS WEG
Grußwort von Arndt Müller, Mitglied der Stadtvertretung Schwerin, zur Mahnkundgebung am Lenin-Denkmal in Schwerin – 14. Juni 2025
Sehr geehrte Damen und Herren der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V., sehr geehrter Herr Dombrowski, sehr geehrter Vorsitzender der Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion, Herr Krikowski, sehr geehrter Herr Bauersfeld, liebe Anne Drescher, sehr geehrter Herr Bley, sehr geehrte Anwesende aus nah und fern,
ich danke Ihnen, Herr Krikowski, dass ich heute hier als Mitglied der Schweriner Stadtvertretung sprechen darf. Dass ich, wie auch schon vor 9 Jahren, der einzige Vertreter der Schweriner Stadtvertretung bin, der heute hier ist, finde ich sehr traurig.
Meine Name ist Arndt Müller, ich bin Vorsitzender der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/Die Partei, rede hier aber für mich als Person und nicht stellvertretend für unsere gesamte Fraktion, weil es in ihr unterschiedliche Meinungen zum Umgang mit dieser Lenin-Statue gibt.

- Arndt Müller
Die Statue, vor der wir heute stehen, ehrt keinen Philosophen, keinen Humanisten, sondern den Mann, der in Russland den Weg geebnet hat für eine Ein-Parteien-Herrschaft, für Massenmord an politischen Gegnern und die Einrichtung von Konzentrationslagern. Es war Lenin, der die Idee verfolgte, dass ein Terrorapparat notwendig sei, um eine neue Gesellschaft zu errichten – und der diese Idee gnadenlos umsetzte.
Dass dieses Denkmal nun seit 40 Jahren ohne jeglichen historischen Kontext, ohne Mahnung, ohne Einordnung und nur mit einer etwas angepassten Texttafel mitten in Schwerin steht, darf kein Zustand von weiterer Dauer sein. Es widerspricht unserem demokratischen Selbstverständnis – und es widerspricht dem Gedenken an all jene, die unter diesem Regime gelitten, gekämpft oder ihr Leben verloren haben.
Ich fordere daher mit Ihnen, dass dieses Denkmal nicht weiter im öffentlichen Raum als vermeintlich neutraler Teil der Geschichte stehen bleibt. Die etwas angepasste Informationstafel leistet hier die notwendige Aufklärung nicht. Lenin gehört entfernt, ohne wenn und aber.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bin 55 Jahre alt und habe bis zu meinem 21. Lebensjahr in einem Staat namens DDR gelebt. Wie viele andere habe ich bis zum Sturz der Mauer nur bruchstückhaft verstanden, wie die Diktatur des Proletariats nach den Vorstellungen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands eigentlich funktionierte. Ich habe das System zwar erlebt, aber wie tief ein Staatsterror in unser aller Leben eingriff, war mir lange nicht bewußt. Mein Grundwehrdienst hier in Schwerin und die aufkommende friedlichen Revolution, die selbst meine brandenburgische Heimatstadt Wriezen erreichte, führten dann bei mir zu mehr und mehr Verständnis. Ich las einst verbotene Autoren und Texte der Bürgerbewegung und mit Beginn meines Studiums 1990 in Leipzig sah ich die Originalschauplätze des Repressionsapparates. Und mir wurde klar, in welchem Ausmaß die DDR auf einem System aufgebaut war, das auf Überwachung, Angst und Unterdrückung beruhte.
Die Methoden der Staatssicherheit, mit denen Andersdenkende verfolgt, Familien zerstört und ganze Biografien ausgelöscht wurden, standen in direkter Tradition der Tscheka – jener berüchtigten sowjetischen Geheimpolizei, die dieser Mann hier, die Lenin selbst gegründet hat. Die DDR war ein autoritärer Ableger dieses Systems, das in Lenin seinen ideologischen Ursprung hatte.
Die Gewalt, das Unrecht, die Willkür haben insbesondere viele 10.000 junge Menschen in der DDR erfahren, die nach der schrecklichen Zeit des Nationalsozialismus viel Hoffnung mit diesem Staat verbanden, die aber bald erkennen mussten, dass statt Freiheit eine weitere Diktatur entstand. Zu diesen jungen Menschen, gehörte der Vater von Ihnen, Herr Krikowski, ihr Vater Johannes Krikowski. Aus Sicht der Apparatschiks war sein Vergehen, dass er freie und geheime Studentenratswahlen an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Greifswald forderte, an der er damals studierte. Dafür und für sein Engagement als Christ verhaftete ihn die Stasi und ein sowjetisches Militärtribunal verurteilte ihn hier in Schwerin am Demmlerplatz gemeinsam mit weiteren Inhaftierten zu 25 Jahren Haft im "Arbeitsbesserungslager" Workuta.
Für Menschen wie Johannes Krikowski, Arno Esch und viele weitere, braucht es Gedenkorte. Nicht für diesen Anführer eines Terrorregimes.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich engagierte mich in der Grünen Partei der DDR und bin vor 14 Jahre Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen geworden. Das Bündnis 90 ist ein wichtiger Teil dieser Partei. Es wurde von Menschen gegründet, die in der DDR für Demokratie, für Menschenrechte und für Freiheit auf die Straße gegangen sind – oft unter großer persönlicher Gefahr. Sie traten nicht nur gegen die real existierende Diktatur an, sondern auch gegen ihre ideologischen Wurzeln. In diesem Sinne steht auch meine Partei heute für eine klare Abgrenzung gegenüber jeder Form von autoritärer Gewalt, sei sie von rechts oder von links motiviert.
Ich danke der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft und der Lagergemeinschaft Workuta, dass sie diese Mahnung heute möglich machen. Und ich danke allen, die sich hier versammelt haben, um klar zu sagen: Schwerin braucht kein Denkmal für einen Diktator – Schwerin braucht ein ehrliches, aufrichtiges Gedenken an die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft!
Vielen Dank.
...schließenEintrag vom 17.06.2025 LENIN MUSS WEG!
Protest vor dem Lenin-Schandmal in Schwerin
Am 14. Juni 2025 demonstrierten etwas drei Dutzend Angehörige der Union der Opfer Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), der Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion und der Vereinigung Opfer des Stalinismus (VOS) dagegen, dass selbst nach 40 Jahren noch ein Lenin-Standbild in Schwerin steht. Wir drucken hier die Protestrede von Stefan Krikowski, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Workuta, ab:
40 Jahre LENIN-Schandmal in Schwerin sind genug!
40 Jahre wanderten die Israeliten aus Knechtschaft und Sklaverei kommend durch die Wüste, um ins Gelobte Land und in die FREIHEIT zu gelangen. 40 Jahre dauerten Diktatur und kommunistische Knechtschaft auf dem Boden der DDR.
40 Jahre steht nun schon das Lenin-Denkmal am Großen Dreesch in Schwerin. Eine Schande und Zumutung für alle Verfolgten des Kommunismus und Gulag-Opfer!
Warum eine Zumutung? – Weil die Verbrechen nicht erst mit Stalin, sondern schon mit Lenin anfingen. Mit der Oktoberrevolution führte Lenin die Tscheka ein. Dieser russische Geheimdienst wuchs zu einem riesigen Verfolgungsapparat an. Ende 1918 zählte die Tscheka 40.000 Mitarbeiter, Anfang 1921 waren es schon 280.000.
Lenin führte seinen Revolutionskrieg gegen ganze Bevölkerungsgruppen. Die Menschewiki wurden liquidiert, die bourgeoise Klasse sollte ausgelöscht werden. Den Kulaken wurde ein Vernichtungskrieg erklärt. Die Kirchen wurden verfolgt.
Für die Gegner der Bolschewiki ließ Lenin die ersten Konzentrationslager errichten. Waren im Jahr 1919 ungefähr 16.000 Menschen inhaftiert, saßen bereits im Herbst 1921 weit über 70.000 politische Gegner in Konzentrationslagern ein.
Zum Vergleich und um eine Größenordnung anzuzeigen: In der über 90-jährigen Zarenzeit von 1825 bis 1917 wurden 6.321 Todesurteile vollstreckt. Allein in den ersten Monaten der Oktoberrevolution wurden fast 15.000 Menschen zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Von Lenin stammt der Spruch: "Ein guter Kommunist ist auch ein guter Tschekist".
Dieser kommunistisch-tschekistische Unterdrückungsapparat wurde durch Stalin auch in die DDR eingeführt.
Im Sommer 1945 übernahm der NKWD/MWD – der sowjetische Geheimdienst – das Schweriner Gefängnis mit angeschlossenem Gericht am Demmlerplatz und somit auch die Praxis der Unrechtsurteile. Tausende politische Häftlinge litten an diesem Ort durch unmenschliche nächtliche Verhöre, Hunger, Entrechtung und durch Folter erpresste Geständnisse. Viele Häftlinge wurden in den Wasserkarzer gesteckt und an Körper und Seele gebrochen.
Mein Vater Johannes Krikowski wurde am 1. November 1951 als junger Student in Greifswald von der Stasi verhaftet und wenige Tage später an die sowjetischen "Freunde" übergeben. Darauf folgte eine monatelange Untersuchungshaft im Gefängnis am Demmlerplatz. Ein Sowjetisches Militärtribunal verurteilte ihn am 8. März 1952 in einem Gruppenprozess mit acht Personen zu 25 Jahren Strafhaft. Drei Personen aus der Gruppe erhielten sogar ein Todesurteil.Mein Vater verbüßte seine Haft im "Naherholungsheim" Workuta. Entlassung am 12. Dezember 1955. Ankunft in West-Berlin.
Mit den zum Tode Verurteilten Geschwistern Erika und Günter Kunert war mein Vater befreundet, der Dritte zum Tode Verurteilte hieß Alfred Nätke. Alle drei stammten aus Jatznick, einem kleinen Ort südlich von Anklam in Ost-Vorpommern.
Im Jahr 2005 erhielt ich vom Innenministerium der Russischen Föderation, Abt. FSB die Verhörprotolle. Jedes einzelne Protokollblatt war von dem Häftling gegengezeichnet. Die Unterschrift meines Vaters erkannte ich sofort. Sein Freund Günter Kunert war als Rädelsführer im Gruppenprozess benannt worden ("sog. Kunert-Gruppe"). Mein Vater schilderte mir wiederholt, dass er ihn bei der ersten Gegenüberstellung im Gefängnisverhör nicht wiederkannte, so sehr hatten die NKWD-Schergen sein Gesicht durch Schläge entstellt. Günter und Erika Kunert wurden mit Alfred Nätke am 12. Juni 1952 im Moskauer Butyrka-Gefängnis erschossen.
Allein im Zeitraum von 1950 bis 1953 wurden im Gericht am Demmlerplatz über 100 Todesurteile gegen politische Gegner durch Sowjetische Militärtribunale (SMT-Urteile) ausgesprochen, die später im Moskauer Butyrka Gefängnis vollstreckt wurden.
Der Rostocker Student Arno Esch wurde am Demmlerplatz durch ein SMT am 20. Juli 1950 zum Tode verurteilt. Über ein Jahr saß Arno Esch in Todeszellen ein, bevor er am 24. Juli 1951 in Moskau hingerichtet wurde.
Viele junge Studenten wurden am Demmlerplatz zu 25 Jahren Zwangsarbeitverurteilt und etliche von ihnen in das berüchtigte Straflager Workuta deportiert.
Auch der Vater unseres ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck wurde im Jahr 1951 am Demmlerplatz zu einer hohen Haftstrafe verurteilt und musste für viele Jahre Zwangsarbeit im Straflagergebiet Taischet verrichten.
Ich möchte Sie – die Schweriner Bürgerschaft – nun eindringlich bitten, sich dafür einzusetzen, dass dieses Lenin-Denkmal abgerissen wird. Treten Sie an den Bürgermeister der Stadt Schwerin und an die Stadtverordneten heran. Der Vorschlag der UOKG und der Lagergemeinschaft Workuta-GULag Sowjetunion an den Regierenden Oberbürgermeister Herr Dr. Rico Badenschier und an die sechs im Stadtparlament vertretenden Parteien von Schwerin lautet: Das Lenin-Denkmal wird abgerissen. Stattdessen wird der Platz in Arno-Esch-Platz umbenannt und eine Stehle mit der Büste von Arno Esch mit der Aufschrift errichtet: Mein Vaterland ist die Freiheit – umrahmt mit seinen Lebensdaten.
Ein Denkmal für die Opfer des Kommunismus wäre das richtige Zeichen für eine freie und demokratische Zivilgesellschaft an dieser Stelle.
Das Lenin-Denkmal aus der tschekistischen Traditionslinie, die von Lenin zu Stalin bis hin zu Putin führt, läßt sich nicht mit den Werten der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vereinbaren. Auch nicht mit dem Freiheitsgedanken, wie ihn Arno Esch immer wieder schon als junger Student in seinen Reden an der Universität Rostock und auch bei den Liberaldemokraten mit seinem frühen Eintritt in die LDP im Jahr 1946 dokumentierte.
Setzten Sie gemeinsam mit den Stadtverordneten von Schwerin ein Zeichen, damit dieses Lenin-Denkmal endlich abgerissen wird.
Es wäre auch ein starkes Symbol für die vielen geflüchteten Menschen aus der Ukraine, die in Schwerin und in Mecklenburg-Vorpommern vor dem "Lenin-Enkel" Putin Schutz gefunden haben. Der Abriss des Lenin-Schandmals wäre auch ein Zeichen nach Moskau.
Tear down this Lenin-Monument!
Ich danke für Ihr Zuhören.
- Dieter Dombrowski, Vorsitzender der UOKG, bei der Verhüllung
- Teilnehmer zeigen Schilder mit Namen der in Schwerin zum Tode Verurteilten und in Moskau Erschossenen
- Lenin - Enttarnt
- Zeitzeuge Dr. Sigurd Blümcke mit Zeichnung und Foto von Johanna Kuhfuß, Mitglied einer Werderaner Jugendwiderstandsgruppe und zusammen mit ihrem Bruder Karl-Heinz Kuhfuß zum Tode verurteilt und am 10. April 1952 in Moskau hingerichtet.
- Zeitzeuge Alexander Bauersfeld
- Nachkomme eines Mitstreiters von Arno Esch
UOKG-NEWS - Videobeitrag Lenin-Verhüllung vom 14. Juni 2025 in Schwerin: "40 Jahre Lenin in Schwerin sind genug!" https://www.youtube.com/watch?v=pdeSZNBSR6s
...schließenEintrag vom 21.05.2025 LENIN MUSS WEG
Offener Brief an die Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig
Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,
seit 40 Jahren steht mitten im Schweriner Neubaugebiet Großer Dreesch eine Bronze-Statue von Wladimir Iljitsch Lenin. Dieses Relikt aus DDR-Zeiten hat die friedliche Revolution ebenso überdauert wie die zahlreichen Bürgerinitiativen, die sich für seinen Abriss eingesetzt haben.
Wie kann das sein?
Während viele osteuropäische Länder – allen voran Estland, das Herkunftsland des Künstlers der Bronze-Statue – kommunistische Machtsymbole konsequent aus dem öffentlichen Raum entfernt haben, hält die Landeshauptstadt Schwerin an der Lenin-Statue fest wie an einem altgewordenen Ehrenvorsitzenden.
Lenin jedoch war nicht bloß eine historische Figur, sondern der Architekt eines diktatorischen Gewaltstaates, der jegliche Opposition mit Terror und Repression bekämpfte. Unter seiner Führung wurde die Tscheka geschaffen – ein gigantischer Geheimdienstapparat, der in seinem gesamten Machtbereich politische Gegner verfolgte, verschleppte und ermordete. Millionen Menschen fielen diesem kommunistischen System zum Opfer. Lenin legte die ideologischen und institutionellen Grundlagen des sowjetischen GULag-Systems – unter seiner Ägide entstanden die ersten Konzentrationslager der Moderne. Trotz zahlreicher Umbenennungen verlor das von Lenin gegründete Instrument der politischen Säuberung nie seinen totalitären und terroristischen Kern. Bis heute steht es für Unterdrückung und Gewalt.
Und es ist dieser Lenin, dessen Denkmal heute noch immer auf dem Großen Dreesch steht – ungerührt und unübersehbar.
Ein erschütternder Kontrast: Keine fünf Kilometer entfernt übernahm nach Kriegsende ebendieser sowjetische Geheimdienst das Gefängnis am Demmlerplatz und verhörte hier Nacht für Nacht tausende Menschen, politische Gegner des sowjetischen Herrschaftssystems sowie willkürlich Festgenommene. Sie erlitten Hunger, Entrechtung und Folter.
Zu ihnen gehörte der junge Rostocker Student Arno Esch, der sich als liberaler Demokrat in der LDP für Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit einsetzte. Als Esch den Machthabern zu gefährlich wurde, verhaftete der sowjetische Geheimdienst ihn am 18. Oktober 1949 in Rostock. Im Gerichtssaal am Demmlerplatz verurteilte ein Sowjetisches Militärtribunal den deutschen Staatsbürger Arno Esch am 20. Juli 1950 zum Tode. Am 24. Juli 1951 wurde er in Moskau hingerichtet.
Allein zwischen 1950 und 1953 verhängten Sowjetische Militärtribunale am Demmlerplatz über 100 Todesurteile, die im Moskauer Butyrka-Gefängnis schließlich vollstreckt wurden. Viele andere junge Studenten wurden zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und in das berüchtigte Straf- und Arbeitslager Workuta deportiert.
Wie ist es möglich, dass Lenin in Schwerin heute noch immer auf einem Sockel thront – Arno Esch hingegen nicht einmal eine Stele gewidmet ist?
Im Namen der Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion fordere ich Sie auf: Setzen Sie ein würdiges Zeichen für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft und gegen die Verharmlosung einer totalitären Ideologie.
Am Großen Dreesch könnten Sie (statt Lenin) in Erinnerung an den LDP-Politiker Arno Esch ein Denkmal mit dessen Bekenntnis aufstellen: "Mein Vaterland ist die Freiheit." Inmitten der weltoffenen Stadt Schwerin wäre dieser Satz ein deutliches Signal an die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie an die vielen Ukrainerinnen und Ukrainer, die in Schwerin vor dem "Lenin-Enkel" Putin Schutz gefunden haben.Unsere Forderung: Reißen Sie endlich die Lenin-Statue ab. 40 Jahre sind genug!
Angesichts der überregionalen Symbolkraft dieses Denkmals ist uns Ihre Einschätzung zur Notwendigkeit seines Abrisses besonders wichtig.
Mit freundlichem Gruß,
Stefan Krikowski Vorsitzender der Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion e. V.
cc: - Herrn Dr. Rico Badenschier, Oberbürgermeister - Stadtvertretung
Flyer Mahnkundgebung
Eintrag vom 22.03.2025 EHRUNG FÜR HEINZ UNGER
Feierliche Anbringung der 11. Erinnerungstafel "Letzte Adresse" am 21. März 2025 in Jüterbog.
Ein Bericht von Stefan Krikowski
Bei strahlendem Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen wurde am 21. März 2025 in Jüterbog die Erinnerungstafel "Letzte Adresse" für den Zahntechnikerlehrling Heinz Unger an dessen letzter Wohnanschrift Am Dammtor 16 angebracht. Initiiert und organisiert wurde die feierliche Anbringung der Tafel vom Team MEMORIAL Deutschland um Anke Giesen und Mario Bandi in Zusammenarbeit mit der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Brandenburg, Maria Nooke. Etwa 20 Personen waren aus Berlin zur Gedenkfeier angereist.
Heinz Unger wurde am 14. Juni 1932 in Werder/Havel geboren. Schon als Schüler zeigte er seinen Unmut über die heraufziehende kommunistische Diktatur, indem er im Herbst 1948 die Namenstafel seiner Oberschule "Carl von Ossietzky" in Werder abriss und zertrümmerte. Daraufhin musste er die Schule verlassen. Im Frühjahr 1951 verteilte er zusammen mit seiner Freundin Ingeborg Wolff im Raum Babelsberg und Werder Flugblätter der KgU. Die Aktion flog am 21. Juni 1951 auf und beide wurden verhaftet und ins MGB-Gefängnis Lindenstraße in Potsdam überstellt.
Zusammen mit Ingeborg Wolff wurde er durch das SMT Nr. 48240 am 11. Januar 1952 wegen Spionage und antisowjetischer Propaganda zum Tod durch Erschießen verurteilt. Ingeborg Wolff und Heinz Unger wurden am 2. April 1952 im Moskauer Butyrka-Gefängnis hingerichtet.
Selbst wenn die Vorwürfe der Spionage und antisowjetischen Propaganda (Verteilen von Flugblättern…) zutreffen sollten: Rechtfertigt das, einen 19-Jährigen zum Tode zu verurteilen und ihn anschließend in Moskau hinzurichten? Nein! Der Prozess vor einem sowjetischen Militärgericht, mit unter Folter erzwungenen Geständnissen, ohne anwaltlichen Beistand, das Urteil und seine Vollstreckung zeigen das Ausmaß des kommunistischen Terror-Regimes.
Die Protestform, gegen staatliches Unrecht mit Flugblättern aufzubegehren, erinnert an Hans und Sophie Scholl, die 1943 auch mit Flugblättern gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime protestierten. Auch sie wurden hingerichtet. Heute werden sie zu Recht als Helden und Widerstandskämpfer geehrt.
Auch Heinz Unger und Ingeborg Wolff waren Widerstandskämpfer, wie so viele andere in der SBZ/DDR — ich möchte an dieser Stelle an Arno Esch und Herbert Belter erinnern. Mit der Einweihung dieser Erinnerungstafel gedenken und ehren wir Heinz Unger.
Marie Nooke und Stefan Krikowski hielten Gedenkansprachen, indem sie über die frühe DDR-Zeit, die SMT-Urteile und über den Werderaner Jugendwiderstand berichteten.
Der Zeitzeuge Dr. Sigurd Blümcke gab zahlreiche Einblicke in den Werderaner Jugendwiderstand. Erwähnt sei an dieser Stelle sein umfangreiches Buch "Wir liebten nur einen Sommer. Jugend, Widerstand und Haftzeit, 1942 –1952" (709 Seiten).
Vom Verein ehemaliges KGB-Gefängnis Leistikowstraße kam Dr. Richard Buchner nach Jüterbog. Unter den Anwesenden war auch Dr. Helmut Sonnenschein, für dessen Vater Helmut Sonnenschein im Juli 2020 eine Gedenktafel an dessen Wohnhaus in Naumburg angebracht wurde.
Die letzte Wohnanschrift von Heinz Unger war Am Dammtor 16 in Jüterbog. Heute befindet sich in diesem Haus die Evangelische Grundschule Jüterbog. Es ist enttäuschend, dass kein einziger Jüterboger Einwohner anwesend war. Kein Bürgermeister, kein Lokalpolitiker. Obwohl Anke Giesen bei der Direktorin der Grundschule angefragt hatte, ob vielleicht eine Schulklasse, Schüler oder Lehrkräfte oder wenigstens die Schuldirektorin selbst an dieser Gedenkfeier teilnehmen möchten, kam niemand. Die Eltern, die an diesem Freitag gegen 14 Uhr ihre Kinder aus der Schule abholten, gingen grußlos an der kleinen Gruppe vorbei. Werden sie die Gedenktafel "Letzte Adresse" für Heinz Unger, die links neben der Schuleingangstür angebracht wurde, sehen und wahrnehmen? Werden sie sich fragen, was es mit dieser Gedenktafel auf sich hat?
Nähere Informationen zu Heinz Unger finden Sie hier: https://donskoje1950-1953.de/?p_id=394

- Gedenktafel "Letzte Adresse" für Heinz Unger

- Gedenkfeier unter Leitung von Anke Giesen (rechts) (MEMORIAL)

- Gedenkansprache von Maria Nooke, Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Brandenburg

- Der Zeitzeuge Dr. Sigurd Blümcke

- Die Evangelische Grundschule Jüterbog
Eintrag vom 17.03.2025 GÜNTHER REHBEIN IST TOT
Am 4. März 2025 verstarb Günther Rehbein im Alter von 91 Jahren in Gera. Ein Nachruf von Stefan Krikowski
Nachruf auf Günther Rehbein
Günther Rehbein war ein rastloser Zeitzeuge, der jedes Jahr mehrere tausend Kilometer durch Deutschland fuhr, um zumeist Schülergruppen von seinem Schicksal als Opfer des DDR-Unrechts zu erzählen. Bis zuletzt setzte Günther Rehbein sich für die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen ein und kämpfte für einen ehrlichen Umgang mit dieser Vergangenheit: "Die jungen Menschen müssen die Wahrheit erfahren, sie gestalten unsere Zukunft. Sie müssen wissen, was passiert ist. Es darf nichts ausgeklammert werden."
Mit gerade einmal 19 Jahren wurde Günther Rehbein im August 1952 in der DDR von Mitarbeitern der Staatssicherheit verhaftet. Eigentlich war er kein politischer Mensch. Er arbeitete als Maler, hatte einen klaren Blick und nahm kein Blatt vor den Mund. Nach einem Besuch in West-Berlin, der ihm die deutlich bessere Versorgungslage dort zeigte, äußerte er gegenüber seinen Arbeitskollegen in Gera seinen Unmut über die schlechte Versorgungslage in der DDR. Konnte das der Grund sein, warum ein Sowjetisches Militärtribunal ihn in Chemnitz am 13. November 1952 wegen Spionage, antisowjetischer Hetze und Diversion zu 25 Jahren Arbeits- und Besserungslager verurteilte? Nach dem Urteil brach Günther Rehbein in der Zelle zusammen.

- Günther Rehbein, 2010
Drei Jahre verbrachte Günther Rehbein im Lager Nr. 10 in Workuta. Jeden Morgen legte er den fast 2 Kilometer langen Weg zum 29. Schacht zurück. Auf dem Rückweg zum Lager fror seine durchnässte Kleidung sofort zu Eis, da die Außentemperaturen in den Wintermonaten bis zu -40 Grad Celsius erreichten. Der Winter dauerte von September bis Juni, der Sommer beschränkte sich auf Juli und August. Frühling und Herbst gibt es dort hinter dem nördlichen Polarkreis nicht.
Ein wesentlich älterer deutscher Mithäftling, Sigurd Binski, gab ihm wichtige Tipps zum Überleben im Lager, zum Beispiel: "Junge, lerne Russisch, sonst bist du hier verloren!" Diesem Rat folgte er und die russische Sprache blieb ihm bis zuletzt vertraut.
Am 1. August 1953 erlebte er die blutige Niederschlagung des Aufstandes im Lager Nr. 10. Josef Stalin war am 5. März gestorben und unter den Häftlingen herrschte große Aufregung. Sie hofften, dass alle Urteile über ausländische Gefangene überprüft und sie freigelassen würden. Doch der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen. Sowjetische Soldaten eröffneten das Feuer auf das Lager und richteten ein Blutbad an. Der Berliner Wolfgang Jeschke wurde von einer Kugel getroffen und fiel neben Günther Rehbein zu Boden. Insgesamt erschossen die sowjetischen Soldaten 64 Häftlinge, darunter viele Ukrainer. Günther Rehbein sah auch, das Heini Fritsche mit einem Hals- und Armdurchschuss aus dem Lager getragen wurde.
Im Oktober 1955 wurde Günther Rehbein über Frankfurt (Oder) entlassen. Er kehrte nach Gera zurück und freute sich auf seine Frau und die beiden Kinder. Doch schon am Bahnhof teilte ihm sein Großvater mit, dass seine Frau mittlerweile mit einem anderen Mann zusammenlebte.
Auch beruflich gestaltete sich seine Rückkehr äußerst schwierig, denn die SED legte ihm zahlreiche Steine in den Weg. So durfte er keine Weiterbildung zum Malermeister absolvieren und die Staatssicherheit beobachtete ihn ausnahmslos.
Dann, im Jahr 1968, schlug der Arbeiter- und Bauern-Staat erneut zu. Günther Rehbein traf zufällig jenen Stasi-Spitzel wieder, der ihn 1952 verraten hatte. In einer Kneipe erkannte er diesen und stellte ihn zur Rede. Doch der antwortete lapidar: "Was, du lebst noch? Ich dachte, die hätten dich erschossen". Als sie sich auf der Straße erneut begegneten, verlor Günther Rehbein die Beherrschung und schlug den Mann zusammen. Daraufhin verurteilte ihn ein Gericht zu vier Jahren Haft, die er im "Gelben Elend" in Bautzen und im Braunkohle-Tagebau "Schwarze Pumpe" absitzen musste. Am 7. November 1971 wurde er entlassen und stellte mehrere Ausreiseanträge, die jedoch alle abgelehnt wurden.
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus bedeutete seine Rehabilitierung durch die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation im Juni 1995 für ihn eine große Genugtuung, denn das Dokument bewies, dass er zu Unrecht verurteilt worden war.
Im Jahr 2006 erschein Günther Rehbeins Buch "Gulag und Genossen", mittlerweile in vierter Auflage. Seit den 1990er Jahren berichtete Günther Rehbein über die Verbrechen des Kommunismus und schöpfte daraus Kraft, Mut und neue Zuversicht.
Bis zuletzt trieb ihn die Frage um, wie gnadenlos und willkürlich im Namen einer angeblich humanen Ideologie Menschenleben zerstört wurden. Die hässliche Fratze des Kommunismus und seiner Vollstrecker hatten Körper und Seele von Günther Rehbein ruiniert. LINKE-Politiker, die bis in höchste Ämter der thüringischen Politik aufstiegen, ließen ihn bis zuletzt nicht zur Ruhe kommen.
Unzählige Zeitungsartikel berichteten von seiner regen Vortragstätigkeit und verstärkten so Günther Rehbeins Stimme weit über Thüringen hinaus. Nun ist sie verstummt.
Günther Rehbein verstarb am 4. März 2025 unmittelbar vor seinem 92. Geburtstag in Gera, wo er zeit seines Lebens lebte — unterbrochen von drei Jahren Haft in einem sowjetischen Gulag und vier Jahren Haft in einem der berüchtigtsten DDR-Gefängnisse.
Hoffen wir, dass seine Seele nun endlich zur Ruhe kommt und erlöst wird.
Stefan Krikowski
...schließenEintrag vom 1.2.2025 NEUE BIOGRAFIE
Die Biografie von Günter Herzog wurde am 1. Februar 2025 auf www.workuta.de veröffentlicht.


