Jahrestagungen der Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion

Die letzten 10.000 deutsche GULag-Häftlinge sind Dank der Verhandlungen Konrad Adenauers in Moskau im September 1955 in ihre Heimat entlassen worden. Die Bilder der Ankommenden im Herbst/Winter 1955/56 in Friedland und andere Orte haben sich unwiderruflich eingeprägt. Schon unmittelbar nach ihrer Rückkehr trafen sich ehemalige Workutaner, oft in familiär-regionalen Kreisen.

Etwa ab 1961 organisierte Sigurd Binski bis zu seinem Tod im Jahr 1993 fast jährliche Treffen mit Kameraden vorwiegend aus dem 29. Schacht (10. Lager).

Ursula Manzel - in gewisser Weise die Stimme der Workuta-Frauen – hat für ehemalige Kameradinnen regelmäßige Treffen der Frauen aus Workuta organisiert. Auch sie trafen sich regelmäßig ab Anfang der 1980-er Jahre, z.T. in großen Runden.

Ebenso gab es Treffen von Häftlingen, die nach ihrer Haftentlassung in der DDR geblieben sind. Sie trafen sich unter ganz anderen - geheimen und vorsichtigen - Bedingungen. Aber es gab diese Treffen. Natürlich galt in der ehemaligen DDR ein Schweigegebot in der Öffentlichkeit. Über ihre Haft- und Verfolgungszeit und die drastischen SMT-Unrechtsurteile durften die Gulag-Zeitzeugen nicht sprechen.

Am 11. September 1995 schrieb Horst Schüler "Zusammen mit einigen anderen ehemaligen Häftlinge bemühe ich mich seit einiger Zeit, zu einer größeren Gemeinsamkeit der Frauen und Männer zu kommen, die unter dem System des Kommunismus gelitten haben. Ein erster Schritt dazu ist die 'Lagergemeinschaft Workuta'. Dem Namen nach besteht sie bereits, praktisch jedoch setzt sie sich bisher vor allem aus den Angehörigen des 29. Schachts (10. Lager) zusammen, viel zu wenig, um von einer wirklichen 'Lagergemeinschaft Workuta' sprechen zu können. Wir sind bemüht, möglichst alle zu sammeln, die in Workuta waren, Männer wie Frauen. Wir glauben, dass unsere berechtigten Anliegen und Forderungen nur durchgesetzt werden können, wenn wir sie gemeinsam vorbringen." Die erste Tagung als "Lagergemeinschaft Workuta/GULag" fand 1996 in Halle statt. Zu diesen gemeinsamen Jahrestagungen der Workutaner und Workutanerinnen, an denen auch die Ehepartner und Kinder teilnehmen konnten (was ausdrücklich erwünscht war…), wurden Fachreferenten eingeladen. Als Lagergemeinschaft wurde nun mehr die Öffentlichkeit gesucht, Medienvertreter wurden kontaktiert, ebenso wurden Schulen aufgesucht, damit Schüler mit Zeitzeugen in Kontakt kamen und diskutieren konnten.

Im Jahr 1997 gaben sich die Workutaner offiziell die Bezeichnung "Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion". Wichtig war hierbei die Ergänzung "GULag Sowjetunion", zwar wurden die meisten deutschen politischen Häftlinge nach Workuta verschleppt, aber auch mussten viele in andere GULag-Lager wie Potma, Inta oder Taischet über viele Jahre Zwangsarbeit leisten.

Viele Jahrestagungen der Lagergemeinschaft fanden an Orten ihrer ehemaligen Untersuchungsgefängnisse statt, wo auch die SMT-Urteile gefällt wurden, also etwa in Schwerin (Demmlerplatz), Berlin-Hohenschönhausen, Potsdam (Leistikow-& Lindenstr. ) und in Halle (Roter Ochse), um nur einige Orte zu nennen.

Die letzte Jahrestagung, zu der noch zwölf Zeitzeugen anreisten, fand im Mai 2019 in Königswinter statt. So war der Bogen Rund: Von Adenauer zu Adenauer.

Überblick über die Tagungen der Kameraden aus dem Schacht 29

Jahr Datum Ort Organisator
1961 30.9.-1.10.1961 Andernach Sigurd Binski
1962 29.-30.9.1962 Frankfurt-Oberrad Sigurd Binski
1963 28.-29.9.1963 Frankfurt-Oberrad Sigurd Binski
1965 25.-26.9.1965 Kassel Sigurd Binski
1967 20.5.1967 Köln Sigurd Binski
1968 12.-13.10.1968 Kassel Sigurd Binski
1975   Frankfurt/Main Sigurd Binski
1981 23.5.1981 Köln Sigurd Binski
1988 1.11.1988 Bonn Sigurd Binski
1989 29.4.1989 Bonn Sigurd Binski
1990 3.5.1990 Siegburg Sigurd Binski
1992 20.10.1992 Siegburg Sigurd Binski
1993 5.5.1993 Siegburg Sigurd Binski
1994 24.2.1994 Halle Horst Hennig/BSV/1. Halle-Forum
1994 13.-14.5.1994 Butzbach  
1995 12.-14.5.1995 Königswinter-Heiterbacherrott Günter Kowalczyk
1995 17.-18.5.1995 Halle Horst Hennig/Halle-Forum

Überblick über die Jahrestagungen der Lagergemeinschaft Workuta / GULag Sowjetunion

Jahr Datum Ort Themen
1996 18.-20.5.1996 Halle Problematik der Rehabilitierung von Verurteilten und Nicht-Verurteilten (Kopalin, Sergej Slutsch), Erfahrungen beim Umgang mit dem 2. SED-UnrBerGes, Zuständigkeiten und Aufgabenbewältigung bei der Rehabilitierung durch deutsche und russische Behörden, Erfahrung mit den Versorgungsämtern (Stiftung HHG). Die medizinische Wirklichkeit bei der Anerkennung von Haftfolgeschäden.
1997 13.-15.5.1997 Falkenrehde (bei Potsdam) Kranzniederlegung im ehemaligen KGB-Gefängnis Potsdam-Lindenstraße, Stand der Rehabilitierungsfragen, Austausch von Erfahrungen mit ehemaligen politischen Häftlingen aus u.a. Tschechien, Ungarn, Litauen, Rußland, Ukraine: Opfer und Täter nach der Wende - Wiedergutmachung/Entschädigung der Opfer/Sühnemaßnahmen gegen die Täter, Stärkung der gemeinsamen Erfahrungen mit u.a. Vertreter anderer Opferverbände, z.B. Sachsenhausen).
1998   Siegburg  
1999 3.-5.3.1999 Marienheide (bei Gummersbach) Wie können wir die Anliegen der politischen Opfer des Kommunismus stärker in die Arbeit der politischen Parteien einbringen?
2000 9.-11.5.2000 Schwerin Verurteilt am Demmlerplatz. Vortrag des Bundesbeauftragten Joachim Gauck in der Schloßkirche, Besuch des Goethe-Gymnasiums: in der Aula reden Zeitzeugen (u.a. E. Lindhammer vor mehreren Schulklassen), Direktor Herr Dethloff
2001 1.-3.5.2001 Weimar Grußwort des Ministerpräsidenten Bernhard Vogel. Kranzniederlegung vor der Polizeiinspektion Weimar (Carl-von-Ossietzky-Str. 60). Wie können wir die Öffentlichkeitsarbeit für die Opfer des Kommunismus verbessern? (H. Schüler) Problematik der Opfer des Kommunismus mit OB Dr. Gemer. Schülergespräch mit Schülerinnen und Schülern des Hoffmann-von-Fallersleben-Gymnasiums.
2002 9.-12.5.2002 Neustadt/Aich Wie können wir erreichen, dass die Informationsarbeit über den kommunistischen Terror auch in Zukunft gesichert wird.
2003 29.-31.7.2003 Berlin-Hohenschönhausen Erinnerung an den Aufstand der Häftlinge in Workuta vor 50 Jahren (Juli/ August 1953) Kranzniederlegung und Podiumsdiskussion in der Gedenkstätte Hohenschönhausen.
2004 17.-19.5.2004 Weinheim/Bergstraße Diskussion mit Schülerinnen und Schülern des Bonhoeffer-Gymnasiums in Weinheim. Vorbereitung Treffen 2005 zum Thema 50 Jahre Heimkehr. Vortrag Siegfried Jenkner "Der Bazillus der Freiheit wandert über den Archipel Gulag - Streiks und Aufstände in sowjetischen Zwangsarbeitslagern". Besuch des Museums "Gegen das Vergessen" in Pforzheim.
2005 11.-13.10.2005 Göttingen/Friedland Gedenkfeier "Heimkehr der letzten deutschen Kriegsgefangengen und politischen Häftlinge aus der Sowjetunion 1955". Große Gedenkveranstaltung im Grenzdurchgangslager Friedland. Gäste: Bundespräsident Horst Köhler und Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff.
2006 14.-16.5.2006 Bad Lauterberg (Harz) Gemeinschaftliches Beisammensein.
2007 20.-23.5.2007 Leipzig Erarbeiten einer Strategie, die der überalterten LG neue und jüngere Mitglieder zuführt, die gewillt sind, die politische und informierende Arbeit der LG fortzuführen.
2008 18.-20.5.2008 Potsdam Erarbeiten einer umfassenden Kartei aller Frauen und Männer, die als deutsche politische Häftlinge in den Straflagern des sowjetischen Gulags waren. Viele Zeitzeugen tun sich schwer, ihre biographischen Daten zukünftig öffentlich "ins Netz" zu stellen. Viel Überzeugungsarbeit muss noch geleistet werden. Diskussion mit Schülern. Besuch der Gedenkstätten Lindenstr. und Leistikowstr.
2009 15.-17.5.2009 Königswinter Die Gulag-Literatur und ihren Niederschlag in den Medien. Der frühe Wiederstand in der SBZ/DDR. Anerkennung von psychischen und physischen Haftfolgeschäden durch die Versorgungsämter. Weiterführung und Neu-Gestaltung der (alten) Homepage der Lagergemeinschaft.
2010 13.-15.6.2010 Dresden "Die Mauer in unseren Köpfen". Podiumsdiskussion mit Dr. K.D. Müller, Prof. G. Wiemers, J. Beleites. Besuch der Gedenkstätte Bautzner Straße.
2011 4.-7.6.2011 Halle Besuch der Gedenkstätte Roter Ochse. Referat: "Der frühe Widerstand in der SBZ/DDR" (K.W. Fricke). Referat: Die Folgen oppositionellen Verhaltens für Angehörige der Martin-Luther-Universtität Halle in den Jahren 1945 bis 1953 (S. Gerstengarbe). Gespräch mit Roland Jahn (neuer Bundesbeauftragter). Gespräch mit Schülern. Referat Die Situation in der Potsdamer Gedenkstätte Leistikowstraße. Perspektiven der Arbeit der Lagergemeinschaft.
2012 2.-4.6.2012 Berlin-Neukölln "Warum ist der Terrorismus dem Kommunismus immanent? Stalinismus ist kein "Betriebsunfall" der kommunistischen Ideologie". Podiumsdiskussion mit Vera Lengsfeld, Sascha Kowalczuk, Karl Wilhelm Fricke, Edda Ahrberg, Richard Buchner (Moderation: Horst Schüler). Besuch der Ausstellung "GULAG" im Schloß Neuhardenberg. Diskussion mit Roland Jahn.
2013 1.-3.8.2013 Berlin-Mitte Gedenken des Aufstandes in Workuta vor 60 Jahren. Eine Delegation unter Leitung von Edda Ahrberg und Anne Drescher reiste nach Workuta, um Vorort an der Gedenkfeier zum 1.8.2013 teilzunehmen.
2014 30.5.-1.6.2014 Karlsruhe Bericht einer Reise nach Workuta (E. Ahrberg). Referat: Frauen im Gulag (Dr. Meinhard Stark), Vorstellung der neuen Website www.workuta.de der Lagergemeinschaft (S. Krikowski), Besuch beim Bundesverfassungsgericht (J. Desens), Besuch des Gulag-Museums von Martin Hoffmann in Karlsruhe-Durlach.
2015 5.-7.6.2015 Magdeburg "Tore zur Freiheit. Vor 60 Jahren: Rückkehr aus sowjetischer Haft 1955. Vor 25 Jahren: Die Wiedervereinigung Deutschland 1990". Grußworte durch Detlef Gürth (Landtagspräsident S-A) und Ministerpräsident Reiner Haseloff. Referat: Freiheit braucht Verantwortung (Bundesbildungsministerin Johanna Wanka). Film: Die letzten Zeugen des GULag (Regie: Dean Cáceres und Lars Henze). Buchpräsentation Werner Gumpel: "Workuta - Die Stadt der lebenden Toten".
2016 3.-5.6.2016 Schwerin "Erlebt - Erinnern - Vermitteln". Grußwort Mathias Brodkorb (Minister für Bildung und Wissenschaft und Kultur), Film: Heimkehr aus der Strafgefangenschaft (mit Anita Wille). Referat: Die Bedeutung W.I. Lenins (Dr. Andreas Hilger), Podiumsdiskussion mit Dr. Andreas Hilger und Dr. Jörg Morré (Direktor des Deutsch-Russischen Museums Berlin-Karlshorst), Protest vor dem Lenin Standbild in Schwerin/Am großen Dreesch mit einer Rede von Hans-Jürgen Jennerjahn. Wohin mit den Unterlagen? (Dr. Matthias Buchholz, Archivleiter der Bundesstiftung SED-Aufarbeitung), Kranzniederlegung am Demmlerplatz, Vortrag im großen Schwurgerichtssaal (historischer Gerichtsort des SMT).
2017 8.-10.6.2017 Berlin-Mitte Thema: "Vor 100 Jahren: Eine Revolution, die die Welt veränderte". Führung durch das Archiv der Bundesstiftung SED-Aufarbeitung. Projektbericht SMT-Todesurteile in Mecklenburg-Vorpommern im Spiegel russischer Akten (A. Drescher). Im Gespräch - Die Kinder Generation Gulag (M. Cremer, Memorial). Dr. Joachim Anders - Erschossen bei Taischet (A. Gursky). Vor 100 Jahren: Eine Revolution, die die Welt veränderte (W. Hedeler). Ausstellung: Der Kommunismus in seinem Zeitalter. Weitergabe von Geschichte, aktualisierte Website und Öffentlichkeitsarbeit der Lagergemeinschaft (S. Krikowski). Kranzniederlegung am ehemaligen NKWD-Keller in der Prenzlauer Allee. Ernennung Stefan Krikowski zum Nachfolger von Horst Schüler.
2018 1.-3.6.2018 Potsdam Häftlinge im GULag und die Literatur. Gedenken an die Opfer kommunistischer Gewalt auf den Solovki Inseln (E. Ahrberg). Die Kolyma und Warlam Schalamow (A. Giesen). Häftlinge im GULag und die Literatur am Beispiel Horst Bieneks (A. Petersen). Ausstellung Solomon Gerschow, Gezeichnete Erinnerungen an Workuta (Tanya Rubinstein-Horowitz, Kuratorin) in der Gedenkstätte Lindenstr. Kranzniederlegungen in den Gedenkstätten Lindenstraße und Leistikowstraße.
2019 24.-26.5.2019 Königswinter Der Mauerfall vor 30 Jahren und die Auswirkungen auf die Aufarbeitung kommunistischer Gewaltherrschaft in Deutschland. Was bleibt von den Erfahrungen der Opfer? 30 Jahre Aufarbeitung kommunistischer Gewaltherrschaft in Deutschland (H. Knabe). Die Privilegierung von Staatskriminellen. Prozesse gegen DDR-Grenzschützen und ihre Befehlsgeber (R. Grafe). Stiftung für ehemalige politische Häftlinge. Eine Bilanz ihrer Arbeit. (E. Lindhammer). Besuch des Adenauerhauses in Rhöndorf und Kranzniederlegung auf dem Waldfriedhof. Beim letzten Treffen der Lagergemeinschaft waren 12 Zeitzeugen anwesend.
 

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