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Horst
Hennig

geboren 1926
in Siersleben

verstorben 2020
in Köln

Lebenslauf

28.5.1926 Geboren in Siersleben, Kreis Mansfeld (Sachsen-Anhalt).
1.11.1940 Heeres-Unteroffizier-Vorschule zu Marienberg (Sachsen).
25.2.1945 Amerikanische Kriegsgefangenschaft im Raum Bitburg.
1.6.1946 Transport mit dem Lazarettschiff "ABA" von England nach Hamburg.
8.3.1948 Reifeprüfung an der Martin-Luther-Universität zu Halle (Sachsen-Anhalt).
16.4.1948 Immatrikulation an der Medizinischen Fakultät der Hallenser Universität.
1948-1950 Studium der Medizin an der Universität Halle, Mitglied in einer oppositionellen Studentengruppe. Vermerk der Universität zum Abgang: "15.6.1950 gestr[ichen] wegen Nicht-Rückmeldung zum Sommersemester 1950, lt. Reg. Erlaß Az 6335."
10.3.1950 Verhaftung durch den sowjetischen MWD.
12.-13.5.1950 Erstes Urteil in einem Gruppenprozess mit sechs weiteren Studenten im Gefängnis "Roter Ochse", Halle, durch ein sowjetisches Militärtribunal nach Art. 58-11 und 58-10 des StGB der RSFSR zu 25 Jahren Zwangsarbeit.
18.-19.9.1950 Zweites Urteil, da Moskau darauf besteht auch nach Art. 58-6 (Spionage) zu verurteilen.
14.1.1951 Ankunft in Workuta.
1.8.1953 Beteiligung am Gefangenenstreik im Lager 10 des Schachtes 29 in Workuta. Überlebt die Niederschlagung des Streiks, als Soldaten auf die am Lagertor versammelten Häftlinge schießen. Die Zahl der Opfer steigt auf insgesamt 64 Tote und über 123 Schwerstverletzte.
15.12.1955 Repatriierung nach West-Berlin nach Intervention des Bundeskanzlers Konrad Adenauer in Moskau.
16.4.1956 Immatrikulation an der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln.
8.5.1961 Promotion.
1.6.1962 Eintritt in den Sanitätsdienst der Bundeswehr.
8.9.1982 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
28.3.1983 Als Generalarzt, BMVg Bonn, in den Ruhestand verabschiedet.
September 1992 Reise nach Moskau auf Grund seiner Initiative zur Antragstellung auf Rehabilitierung der mit ihm verurteilten Studenten. Besuch des NKWD-Archivs in der Lubjanka und Einsicht in seine Prozessunterlagen.
16.10.1992 Rehabilitierung durch die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation.
27.7.–4.8. 1993 Delegationsreise ehemaliger Gulag-Häftlinge nach Moskau und Workuta. Teilnahme an der Gedenkveranstaltung in Workuta zur Niederschlagung des Streiks vor 40 Jahren.
26.7.–2.8.1995 Delegationsreise nach Moskau und Workuta mit einer Gruppe von 25 Teilnehmern. Einweihung der Gedenkstätte durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Workuta für die Erschossenen und Verletzten des Aufstandes vom 1. August 1953.
1992–2016 Autor mehrerer Zeitzeugenberichte in Büchern, Film und Funk. Mehrere Buchveröffentlichungen im Leipziger Universitätsverlag. Kurator in der Stiftung Gedenken und Frieden der Kriegsgräberfürsorge bis 2007. Weiterhin ehrenamtliche Tätigkeiten in Verbänden, u.a. in der Stiftung für politische Häftlinge, im Beirat Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt.
21.5.2020 Verstorben in Köln.

Biografisches

Auszug aus dem fachärztlichen Gutachten des Rheinischen Landeskrankenhauses Süchteln:

"Zu diesen nächtlichen Erlebnissen kam noch hinzu, daß K. [Krikowski] in einer Zelle zusammen mit einem sterbenskranken Häftling untergebracht war. In Folge übergroßer Schmerzen schrie dieser laut und anhaltend, ohne daß ihm jedoch die geringste ärztliche Versorgung, ja nicht einmal die notwendigste Pflege zuteil wurde. Nachdem er sich stark wund gelegen hatte, verstarb er schließlich. Darauf wurde K. gezwungen, diesen Mithäftling zu entkleiden und 3 Treppen hinunter zu transportieren. Da seine Kraft nicht dazu ausreichte, ihn zu tragen und Kopf sowie Nacken voller Wunden waren, faßte er an dessen Füße und zerrte ihn so hinter sich her. Auf jeder Steinstufe schlug der Kopf des Toten jeweils hart und knallend auf. […] K. wurde bei einer solchen brutalen Äußerung der Menschenverachtung von panischer Angst und tiefer Hoffnungslosigkeit erfaßt. Durch seine bald darauf folgende ungerechtfertigte gerichtliche Aburteilung und das Todesurteil dreier seiner Kameraden, von denen ein Geschwisterpaar ihm eng verbunden war, wurden seine Befürchtungen, einer teuflischen Vernichtung machtlos ausgeliefert zu sein, weiterhin verstärkt."

Rheinisches Landeskrankenhaus Süchteln, Fachärztliches Gutachten über Johannes Krikowski, 12.12.1964, S. 38f.
Quelle: Privatarchiv Stefan Krikowski.

Auszug aus einem Interview mit Anne Drescher, Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Mecklenburg-Vorpommern:

Anne Drescher: "'Wie geht es Ihnen heute, wenn Sie mit diesem Thema konfrontiert werden?'

Es kommt der Kaffee hoch. Es ist alles so anstrengend. Also, ich merke – das werden Sie ja auch gemerkt haben, ich habe Konzentrationsschwierigkeiten. Man will das verdrängen oder will das nicht zugeben. Es ist einem auch peinlich. Ich habe heute Nacht schlecht geschlafen. Natürlich erst einmal wegen dieses Gesprächs. Aber, du hast auch eine Angst. Es ist auch diese Angst gewesen, nicht nach Schwerin zu fahren. Ich wollte das einfach nicht mehr sehen. Ich wollte das vergessen haben. Ich habe gedacht, die Mauer ist da, und die soll bleiben. Ich werde es nicht mehr erleben. Gut, Vergangenheit. Kaum war die Mauer weg, kommt die ganze Chose wieder hoch, mit all diesem Mist, mit Stasi-Akten, Berichten und so weiter. Also, ich habe das alles verdrängt. Das ist jetzt ja über 40 Jahre her. Aber im Grunde wirst du das nie los. Ein Gespräch, und dann ist alles wieder da. Dann sind all die Kränkungen, all die Empfindsamkeiten … das haben Sie ja auch bei den anderen gemerkt. Das Gescheitere ist vielleicht wirklich, nicht mehr daran zu rühren. Aber ich sage, mein Gott, wer wird das später mal hören, wenn wir nicht davon erzählen? Sollen wir uns ins Private zurückziehen? So lange ich kann, sage ich nein. Ich bin für die Öffentlichkeit. Vor allen Dingen bin ich daran interessiert, dass es auch in den Schulbüchern verankert wird. So viele Geschichten werden erzählt. Und es gibt jetzt ja auch wirklich hervorragende Literatur, auch Filme. Warum wird das nicht in Schulen gezeigt? Der Fall Esch oder das Buch über Workuta von Herrn Schüler. Es gibt ausgezeichnetes Material. Und Sie befragen ja auch Zeitzeugen. Aber das Gedächtnis lässt nach. Wir sind schon alt. Einige von uns aus der Lagergemeinschaft sind schon weit über achtzig. Ich gehöre im Moment zu den Jüngsten. Wir werden nicht mehr lange leben."

Drescher, Anne: Haft am Demmlerplatz. Gespräche mit Betroffenen. Sowjetische Militärtribunale Schwerin 1945-1953, 2. korr. Auflage, hrsg. vom Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2004, S. 208f.

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