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Horst
Maltzahn

geboren 1927
in Grunwald

verstorben 2008
in Zeven

Lebenslauf

3.10.1927 Geboren in Grunwald, Kreis Crossen (heute Polen).
1944 Einberufung zur Wehrmacht in der Endphase des Krieges.
1945 - 1946 Amerikanische und französische Kriegsgefangenschaft.
1946 - 1951 Arbeit in einer Ziegelei und bei der Bau-Union-Dresden.
11.10.1951 Verhaftung in Ribnitz-Damgarten durch den Staatssicherheitsdienst der DDR. Übergabe an den sowjetischen Geheimdienst. Haft im Gefängnis "Roter Ochse" in Halle.
29.12.1951 Verurteilung durch ein Sowjetisches Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit wegen angeblicher Spionage für den französischen Geheimdienst. Der mitangeklagte Freund Herbert Schönmuth (geb. am 3.6.1926 in Langengrassau/Brandenburg) wird zum Tod durch Erschießen verurteilt und am 20.3.1952 in Moskau hingerichtet.
April 1952 Abtransport von Halle über verschiedene Gefängnisse und Lager nach Workuta. Zwangsarbeit im 29. Schacht, Lager 10.
1.8.1953 Streik im 29. Schacht. Niederschlagung durch Truppen des sowjetischen Geheimdienstes: 64 Tote und 123 Verletzte.
März 1955 Abtransport von Workuta über Gorki, Kirow, Swerdlowsk, Omsk, Tomsk, Nowosibirsk, Krasnojarsk, Irkutsk (Irkutsk liegt ca. 4.800 km östlich von Gorki). Rücktransport nach Swerdlowsk (Ural) und Unterbringung im Kriegsgefangenenlager Rewda.
9.10.1955 Entlassung nach West-Berlin. Die Rückkehr von Workuta nach West-Berlin dauert acht Monate.
1956 - 1957 Unterbringung in der Lungenheilstätte Heckeshorn (Berlin-Wannsee) wegen einer in der Haft erlittenen doppelseitigen TBC.
bis 1959 Arbeitsunfähigkeit, Kur in Davos (Schweiz).
1.4.1960 Umschulung zum Schriftsetzer an der Niedersächsischen Landes-Versehrten-Berufsfachschule in Bad Pyrmont.
1961 Heirat, aus der Ehe gehen zwei Söhne hervor. Umzug nach West-Berlin.
1987 Ruhestand. Umzug nach Zeven (Niedersachsen).
Sommer 1995 Teilnahme an einer Delegationsreise ehemaliger Häftlinge mit dem "Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge" nach Workuta.
1995 Rehabilitation durch die russische Generalstaatsanwaltschaft.
8.5.2008 Verstorben in Zeven (Niedersachsen).

Biografisches

Erinnerungen: Nichts Alltägliches

Ribnitz/Damgarten. 11. Oktober 1951. 10 Uhr vormittags. Verhaftung durch zwei Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der DDR. Arrest im Rostocker Gefängnis. Bahnfahrt, im Extraabteil, über Wittenberge nach Merseburg. Handschellen. Dort Übergabe an die "Freunde" des KGB. Einschließung im dreckstarrenden Kellergeschoss. Tropfsteinhöhle. Erste Verhöre. Überstellung an das Zuchthaus Halle (Roter Ochse). Tagelanger Aufenthalt in Kellerzelle. Umzug in das Hauptgebäude. Zwei-Mann-Zelle. Haare scheren. Foto anfertigen. Zelle: Pritschen. Dreckige Wolldecken. Wackliger Tisch. Verbeulte Wasserkanne und Waschschüssel. Stinkender Notdurftkübel in Zellenecke. Ekel. Widerwillen. Kein Handtuch. Kein Toilettenpapier. Toilettenpapier? Was ist das? Fenster verblendet. Diffuses Licht. Verpflegung: Frühstück: Kaffee?? Braunes Wasser. Trockenes Brot. Mittagessen: Wassersuppe. Überwiegend Sago. Abendessen: Kaffee?? Brot. Wecken 6 Uhr. Schlafen 22 Uhr. Auf der Pritsche liegen bzw. in der Zelle gehen, tagsüber verboten. Karzer bei Nichtbefolgung. Gebot: Sitzen auf der Pritsche. Beide Hände auf den Knien. Augenschließen und Anlehnen strengstens untersagt. Nächtlicher Terror. Russische Flüche. Obszönitäten. Sprachverfall. Sprache der Diktatur. Nicht wiederzugeben. Gefangenenschreie. Dröhnende Zellentüren. Schlüsselgeklirr. Klappernde Holzpantoffeln. Zum Tode Verurteilte erhalten Holzpantoffel. Gestreifte Bekleidung. Kuche – mein Zellengenosse – alt, ängstlich, verstört – was hat ihn in die Fänge des KGB gebracht – flüstert: "Was ist da los?" Ich sage ohne Überlegung: "Raustreten zum Särgeempfang!" Erschrecken. Entsetzen. Zynismus? Galgenhumor? Sporadischer Hofgang. Verhör nur in der Nacht. Stundenlang. Untersuchungsrichter. Sowjetischer Offizier des KGB. Drohungen. Beleidigungen. Beschimpfungen. Dunkelzelle. Schmeicheleien: „Sie sind doch noch so jung, sagen Sie uns alles, dann können Sie sofort nach Hause gehen.“ Wölfe im Schafspelz. Erpressen idiotischer Geständnisse. Unterzeichnung des unverständlichen russischen Textes. Drei Monate. Nervenzerstörende Verhöre. Urteilsverkündung am 29.12.1951. Sowjetisches Militärtribunal. Kurz. Präzise. Kalt. Sachbezogen. Orden. Epauletten. Offiziere. Ich ignoriere sie. Schaue durch sie hindurch. Wir sind zu dritt. Herbert Schönmuth. Günter Bach. Ich. Anklagebegründung: Militärspionage für den französischen Geheimdienst. Gruppenbildung. Urteilsspruch: Tod durch Erschießen für Herbert Schönmuth. Vollstreckt am 20.3.1952. Bekanntgeworden durch die Rehabilitierungsschrift von 1995. Seine Eltern erfuhren nie von seinem Schicksal. Herbert Schönmuth erbleicht. Günter Bach und ich 25 Jahre Lagerhaft. Ich werde zu Eis. 25 Jahre? Horrorvision. Wie fühlt sich Günter Bach? Die Dolmetscherin. "Jetzt können Sie miteinander sprechen!" Worüber?? Herbert Schönmuths Weg in die Todeszelle. Nie vergesse ich seinen Blick.

Horst Maltzahn, unveröffentlichter Erinnerungsbericht, 1997

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