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Horst
Schüler

geboren 1924
in Babelsberg bei Potsdam

verstorben 2019
in Hamburg

Lebenslauf

16.8.1924 Geboren in Babelsberg bei Potsdam.
1946 Heimkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft nach Potsdam. Anerkennung als "Opfer des Faschismus".
1947 Volontariat und anschließend Redakteur bei der Zeitung "Märkische Volksstimme", Potsdam.
1949 Regelmäßige Veröffentlichung der Kolumne "Kiekeohr", in der u.a. die Versorgungsmissstände in der DDR kritisiert werden. Journalistische Kontakte nach West-Berlin.
1950 Heirat.
4.11.1951 Verhaftung, u.a. wegen der Weigerung, als Spitzel für den KGB seine Kollegen in der Redaktion auszuhorchen. Anschließend sechs Monate Untersuchungshaft im KGB-Gefängnis Lindenstraße, Potsdam. Genau zehn Jahre zuvor hatte er als 17-Jähriger dort seinen Vater, Fritz Schüler, besucht, einen verdienten Sozialdemokraten und Gewerkschafter, den die Nationalsozialisten wegen seiner politischen Haltung verhaftet und 1942 im KZ Sachsenhausen ermordet hatten.
5.3.1952 Verurteilung durch ein Sowjetisches Militärtribunal in Potsdam nach dem sowjetischen Strafrechtsartikel 58-6 ("Spionage") des StGB der RSFSR zu 25 Jahren Zwangsarbeit. Anschließend Verschleppung in die Strafregion Workuta. Zwangsarbeit im Lager 10/29. Schacht.
Juli/August 1953 Teilnahme am Streik und Aufstand der Häftlinge, der im Lager 10 blutig niedergeschlagen wird: 64 Tote und 123 Verwundete.
28.9.1955 Rücktransport nach Deutschland.
15.10.1955 Entlassung nach West-Deutschland aufgrund eines dort vorgetäuschten Wohnortes, Ankunft im Aufnahmelager Friedland (Niedersachsen).
1964 - 1989 Redakteur beim "Hamburger Abendblatt".
1974 Ehrung mit dem Theodor-Wolff-Preis wegen ausgezeichneter journalistischer Leistungen.
1992 Reise als erster deutscher Journalist nach Workuta. Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande.
1993 Rehabilitierung durch die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation.
Seit 1996 Sprecher der Lagergemeinschaft Workuta/Gulag Sowjetunion.
2001 - 2007 Vorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) e.V., danach deren Ehrenvorsitzender.
2003 Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für seinen Einsatz als UOKG-Vorsitzender und als langjähriger Sprecher der Lagergemeinschaft Workuta/Gulag Sowjetunion.
27.3.2019 Verstorben in Hamburg. Horst Schüler hinterlässt seine Ehefrau und zwei Kinder.

Biografisches

"In der Regierungszeit von Nikita Chruschtschow sind die meisten Lager für politische Gefangene aufgelöst worden. Doch so einfach mit einem Federstrich kann man den Archipel Gulag nun mal nicht aus der Welt schaffen. In den Köpfen der Menschen existieren die Lager weiter. Und die in ihnen leiden mußten, werden sie ihr Lebtag nicht vergessen. Wenn sie sich treffen, dann dauert es meist nicht lange, bis irgendeiner anfängt, von damals zu erzählen.

Von der Zeit im Lager.

Klar, die jungen Dachse spötteln, das ist in Rußland nicht anders als bei uns: Warum laßt ihr denn die Vergangenheit nicht endlich mal Vergangenheit sein? Sagt ihr nicht immer, es sei alles so furchtbar und schrecklich gewesen? Na also, dann vergeßt doch diese Zeit so schnell wie möglich, schmeißt sie raus aus euren Gedanken! Aber nein, was macht ihr? Wo immer ihr auch zusammenkommt, werden die alten Geschichten wieder aufgerührt. Das versteh , wer will.

Wir bitten um Vergebung, ihr Leute. Natürlich könnt ihr nicht ahnen, wie sehr diese Zeit im Lager unsere Seelen deformiert hat. Wie sollt ihr begreifen, daß wir zusammenschrecken beim Anblick eines verrotteten Stacheldrahtzauns. Daß der Hochstand eines Jägers uns unweigerlich an einen Wachturm erinnert? Daß wir bei einem sorgsam geharkten Weg an die verbotene Zone rings um das Lager denken, die niemand betreten durfte, es sei denn, er suchte den schnellen Tod. Daß wir uns innerlich dagegen auflehnen, wenn ihr leichthin vom Hunger sprecht, ohne überhaupt ahnen zu können, was Hunger wirklich aus Menschen machen kann.

Und wenn wir beim Klang eines Hammerschlags auf Eisen zusammenfahren, wie sollt ihr es wissen? Selbst dieses harmlose Geräusch bringt uns zurück in die Welt der Lager. Mit Schlägen auf dem Stück Eisenbahnschiene nämlich, das am Tor hing, wurden die Häftlinge geweckt, wurden sie zur Arbeit befohlen, zur Zählung, zum Appell.

Ihr seht also, so leicht ist das nicht mit dem Vergessen. Und überhaupt, wem würde Vergessen denn nutzen? Doch höchstens den Mördern, höchstens all denen, die uns gequält, geschlagen, geschunden haben. Die sich als Herr über Leben und Tod aufspielten.

Ja, das könnte ihnen so passen, den Folterknechten. Daß wir ihre Schandtaten vergessen!"

Schüler, Horst: Workuta. Erinnerung ohne Angst,
München (Herbig) 1993, S. 174f.

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