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Margarete
Lange

geb. Lange
geboren 1927
in Hamburg-Harburg

verstorben 2001
in Leipzig

Lebenslauf

15.10.1927 Geboren in Hamburg-Harburg.
1937 Besuch der Oberschule für Mädchen in Hamburg.
Juli 1943 Verlust der elterlichen Wohnung durch einen Fliegerangriff. Die Mutter wird nach Schwerin (Mecklenburg) evakuiert.
März 1945 Abitur in Hamburg.
Januar 1946 Übersiedlung nach Schwerin. Arbeit bei der Bäcker- und Konditoren-Innung des Kreises Schwerin.
Juli 1946 Arbeit bei der "Norddeutschen Zeitung" (Organ der LDP) in Schwerin, zunächst in der Vertriebsabteilung, später in der Redaktion als Redaktionssekretärin.
21.7.1948 Verhaftung in Schwerin durch die sowjetische Besatzungsmacht. Befragung durch sowjetische Sicherheitsorgane in Zivil mit dem Vorwurf der "Spionage" und "Mitwisserschaft von einer Untergrundbewegung". Anschließend Untersuchungshaft im Justizgebäude am Demmlerplatz in Schwerin.
April 1949 Verurteilung durch ein Sondergericht in Moskau nach Artikel 58-14 des StGB der RSFSR zu 10 Jahren Zwangsarbeit. Anschließend Haft im Justizgebäude in Schwerin.
Juni 1949 Verlegung ins Speziallager Sachsenhausen.
Ende Juni 1949 Deportation über Orscha, Moskau, Wologda nach Workuta und später ins Waldgebiet an der Petschora.
März 1953 Amnestie.
Ab Mai 1953 Rücktransport nach Tapiau bei Königsberg (Ostpreußen).
28.12.1953 Entlassung aus dem Lager Fürstenwalde/Spree (DDR).
4.1.1954 Anstellung als Schulsekretärin in der Betriebsberufsschule für Gebrauchswerber in Schwerin-Wiekendorf.
14.4.1954 Heirat mit Horst Lange (ebenfalls ehemaliger Häftling in Workuta).
18.12.2001 Verstorben in Leipzig.

Biografisches

"Warum ich damals verhaftet worden bin, habe ich eigentlich nie erfahren. Bis zum 21. Juli 1948 arbeitete ich bei der Schweriner Norddeutschen Zeitung als Redaktionssekretärin. An diesem Tag bin ich aus meinem Büro abgeholt worden. Zwei Russen in Zivil nahmen mich mit und brachten mich in einem Auto ins Schweriner Justizgebäude. Ich dachte: Das kann ja nicht lange dauern. Ist sicher ein Irrtum […] Ich trug ein dünnes Sommerkleid und meine kleine Tasche, mit der ich am Morgen zur Arbeit gegangen war.

Tage vergingen, und mit jeder Stunde wuchs meine Angst. Ich saß in einer Einzelzelle, bis mir die Anklageschrift verlesen wurde: Nach Paragraph (sic!) 58 des sowjetischen Strafgesetzbuches sei ich der Spionage, Sabotage und Mitwisserschaft zur Untergrundbewegung verdächtig. Voller Verzweiflung überdachte ich die letzten Wochen. Was könnte der Anlass gewesen sein? Ich hatte nicht die leiseste Ahnung. Jetzt begannen die Verhöre. Man holte mich dazu immer nachts aus meiner Zelle. Ich sollte zugeben, gegen die sowjetische Besatzungsmacht gearbeitet zu haben. Nach jedem Verhör musste ich ein Protokoll in russischer Sprache unterschreiben. Ich setzte also meine Unterschrift unter etwas, was ich nicht lesen konnte. Nach einem halben Jahr stellte man mich meinem ehemaligen Chefredakteur gegenüber. Er war lange vor mir verhaftet worden – wegen Spionage, hieß es. Das fiel mir nun schlagartig wieder ein. Ich hätte ihn fast nicht wiedererkannt, so war er zugerichtet. Nun plötzlich erinnerte ich mich an Dinge, die ich nie für wichtig gehalten hatte. Wie oft waren Leute zu ihm in die Redaktion gekommen, die ihre Namen nicht genannt hatten. Aber was ging mich das alles an? Auch mein ehemaliger Chefredakteur sagte es bei der Gegenüberstellung: 'Die Frau steht mit dieser Angelegenheit in keinem Zusammenhang.' Ich hatte den Eindruck, man glaubte ihm. Jedenfalls ließen die Verhöre nach, und ich durfte mit einer anderen Frau zusammen in der Wäscherei arbeiten. Entlassen wurde ich nicht. Eines Tages holte mich der Vernehmungsoffizier aus der Zelle. Ein Dolmetscher verlas das Urteil: Von einem Sondergericht in Moskau war ich zu 10 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden! Vor Verzweiflung war ich wie gelähmt. Schließlich weigerte ich mich, dieses Urteil zu unterschreiben. Aber sie zwangen mich. […]

Dann [...] ging es im Dezember 1953 wirklich nach Deutschland. Unsere letzte Station war Fürstenwalde. Deutsche nahmen uns in Empfang, kleideten uns ein und gaben uns 50 Mark für die Weiterreise.

Ich hatte in den vergangenen fünf Jahren keinen einzigen Rubel erhalten. Auch Unterlagen oder Dokumente über meine Haft besitze ich keine. Lediglich einen Entlassungsschein aus Fürstenwalde, der mir bescheinigt, am 27. und 28. Dezember 1953 dort gewesen zu sein. Die restlichen Jahre sind, als wären sie nicht gewesen.

In der Zeit danach habe ich immer versucht zu vergessen. Zumal mir überall dort, wo ich die Wahrheit sagte, tiefes Misstrauen begegnete. Keiner wollte wissen, was ich in den fünf Jahren durchlitten hatte. So, als hätte es das nicht gegeben. Als ich 1987 meinen Antrag für die Rentenberechnung abgab, sagte mir eine Beamtin lakonisch: 'Das wollen sie wohl auch noch als Arbeitszeit angerechnet bekommen?'

Workuta und Petschora – wer bei uns wusste bisher schon davon?

Die Öffentlichkeit, so denke ich, muss die ganze Wahrheit über diese Lager erfahren. Aber für mich beginnt damit wieder das Erinnern, das so sehr schmerzt."

Mieder, Rosi: Gefangen am Polarkreis, in: Für Dich, Nr. 25/1990, S. 30-31.

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