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Biografisches

Schwerin, 1950 - Das Gleichnis

Nachdem ich einem Dolmetscher gesagt hatte, dass ich unschuldig sei und weiter nichts getan hätte, als meine Meinung zu sagen, erklärte er mir Folgendes:

"Kennst du Honig?"
"Ja."
"Stell dir einen großen Kessel mit Honig vor – 100 kg."
"Ja."
"Kennst du Scheiße?"
"Ja."
"Nimm einen Teelöffel voll Scheiße, schmeiß diese in den Honig und verrühre sie gut. Was ist dann?"
"Dann ist der Honig verdorben."
"Ja, genau das. Dieser Löffel Scheiße, das bist du!"

Er wollte mir erklären, dass ein Mann, der eine andere Meinung vertritt, ein ganzes Volk verderben bzw. aufwiegeln kann. Also muss er verschwinden. Und genauso sind die Geheimdienste vorgegangen.

Workuta, 40. Schacht, 1951 - Der Abgrund

Ich kam in eine Brigade, die neben anderen die schwerste Arbeit hatte. Unsere Aufgabe bestand darin, die Schächte abzuteufen. Dies beinhaltete, den Stollen von der Oberfläche bis auf die Endtiefe von ca. 650 m herzustellen. Im 40. Schacht hatte dieser Stollen einen Durchmesser von 6 m.

Wir mussten bohren, sprengen, laden, die Wände betonieren, nach Angabe der Markscheider die Eisenträger einbauen, danach die gesamte Installation zur Führung der Fahrstühle bzw. „skips“ sowie Notausstiege und –abstiege errichten.

Wenn die Tiefe erreicht war, mussten wir die Armierung einbauen. Hierzu wurden quer mehrere Eisenträger eingezogen. Für die Halterung mussten wir mit Presslufthammern Löcher von etwa 50 x 40 cm Fläche und 50 cm Tiefe in den Beton bzw. in das Gestein schlagen. Gearbeitet wurde von oben nach unten von einer Holzbühne aus, die an Seilen hing.

Die Luftzufuhr lieferte ein Kompressor, der über Tage stand. Im Winter froren daher die Presslufthämmer laufend ein. Aber jeder hatte zwei Hämmer, die man in regelmäßigen Abständen auswechseln konnte. Wenn man einen eingefrorenen Hammer ablegte, taute er durch das Wasser in kurzer Zeit wieder auf.

Wenn die Löcher gestemmt waren, wurden die Eisenträger herabgelassen. Alle fünf Meter wurden jeweils fünf schwere Doppel-T-Träger eingelassen, von denen der längste 10 m war. Die Längsträger, an denen die Gleitschienen zur Führung der Aufzüge montiert wurden, wurden später eingebaut. Mitte 1951 war der Schacht dann bis auf 600 m fertiggestellt. Von hier aus sollten die Hauptstrecken zu den Abbaugebieten abzweigen. Bevor der Vortrieb dieser Strecken in Angriff genommen wurde, wurde der Stollen noch einmal um 60 m vertieft. Hier wurden später Pumpen installiert, die enorme Wassermengen an die Oberfläche befördern mussten.

Das Wasser war das größte Problem. Trotz Beton drang das Grundwasser durch und ergoss sich ab 100 m Tiefe wie ein Sturzbach über uns. Man arbeitete tatsächlich unter Wasser. Wir trugen zwar Gummikleidung, aber diese wies zahlreiche Löcher auf. Auch neue Gummikleidung hielt nicht lange; sie wurde durch das spitze Gestein zu sehr strapaziert. So waren wir ständig durchnässt. Nahmen wir die Hände nach unten, lief das Wasser durch die Handschuhe, beim Schaufeln und Anheben der Arme lief es wieder in die Ärmel bis in die Achseln und dann den Körper hinunter. Völlig durchnässt arbeitete man eben die achtstündige Schicht ab.

Dann fuhren wir aus und liefen – denn wer langsam ging oder stehenblieb, war sofort zum Eisklumpen gefroren, das Thermometer zeigte meistens unter 40 Grad und weniger – zum Umkleidegebäude. Dort hängten wir unsere Kleidung in den etwa 70-80 Grad heißen Trockenraum. Dem Trockenraum waren ein Umkleideraum, ein Waschraum und eine Sauna angeschlossen. Die Sauna war primitiv, aber wirksam: Es war praktisch ein aus Stein gebauter Ofen, nur dass über der Feuerung dicht an dicht schwere Eisenbahnschienenstücke gelegt waren, auf denen dann wiederum ca. 1 m hoch Gestein gestapelt wurde. Der Ofen wurde von außen geheizt. Im eigentlichen Saunaraum war eine Öffnung, in welche wir dann Wasser schöpfen konnten, so dass Dampf entstand.

Workuta, 30. Schacht, 1952 - Die Blinddarmoperation

Ich lag inzwischen schmerzverzerrt gekrümmt auf dem Fußboden – da kam zufällig wieder jemand vorbei. Er erkannte wohl, was mit mir los war, und holte umgehend einen Arzt. Dieser untersuchte mich kurz und sagte irgendetwas, was ich nicht verstand. Man brachte mich in ein Labor, das von einem 65-70 Jahre alten Professor aus Lettland, einem sehr freundlichen und hilfsbereiten Mann, der gut Deutsch sprach, geleitet wurde. Er war schon über zehn Jahre im Lager. Er nahm eine Blutuntersuchung vor und erklärte mir dann, dass ich wohl eine Blinddarmentzündung hätte. Er benachrichtigte den Chirurgen, ich musste sofort operiert werden. Die Operationsvorbereitung fiel zum größten Teil meinem guten Freund Jochen Klett zu. Er sagte mir, dass niemand auf diese Bauchoperation vorbereitet sei und die entsprechenden Geräte nicht vorhanden seien. Patienten mit meinem Leiden wurden normalerweise in die Stadt Workuta ins Krankenhaus überführt.

Der "OP" wurde in Windeseile geheizt. Als ich hineinkam, herrschten noch Minusgrade. Man musste mich mit örtlicher Betäubung operieren, da kein Narkosemittel vorhanden war. Also ließ man sich vom Zahnarzt Novokain bringen und betäubte damit die Bauchoberfläche. Arme, Beine und Oberkörper waren festgeschnallt. Über meinen Oberkörper hatte man ein Laken gehängt, damit ich nichts sehen konnte. Dann begann die Operation.

Ich hörte das Schneiden, spürte jedoch nichts. Nach einer Weile verspürte ich sehr starke Schmerzen. Ich kann es heute nicht mehr beschreiben, was alles vor sich ging. Ich weiß nur noch, dass das Ganze drei Stunden und fünfzig Minuten dauerte und ich immer abwechselnd jammerte und fluchte. Der Arzt war Russe, ca. 30 Jahre alt und seit zehn Jahren in Gefangenschaft.

Ich blieb etwa acht Wochen im Krankensaal, weil ich mir in dem eiskalten Operationsaal eine Lungenentzündung zugezogen hatte und weil die Wunde nicht heilte. Die inneren Muskeln bzw. das Fleisch wurde mit Seide vernäht, die nicht steril war – einige Russen hatten den Alkohol, in dem sie desinfiziert werden sollte, getrunken und gegen einfaches Wasser ausgetauscht. Die Wunde war völlig vereitert.

Quelle: Czernetzky, Günter/Donga-Sylvester, Eva/Toma, Hildegard. Ihr verreckt hier bei ehrlicher Arbeit! Deutsche im Gulag 1936–1956, Anthologie des Erinnerns, Graz/Stuttgart (L. Stocker) 2000, S. 82, S. 150-151,
S. 206-207.

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