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Biografisches

Auszug aus dem fachärztlichen Gutachten des Rheinischen Landeskrankenhauses Süchteln:

"Zu diesen nächtlichen Erlebnissen kam noch hinzu, daß K. [Krikowski] in einer Zelle zusammen mit einem sterbenskranken Häftling untergebracht war. In Folge übergroßer Schmerzen schrie dieser laut und anhaltend, ohne daß ihm jedoch die geringste ärztliche Versorgung, ja nicht einmal die notwendigste Pflege zuteil wurde. Nachdem er sich stark wund gelegen hatte, verstarb er schließlich. Darauf wurde K. gezwungen, diesen Mithäftling zu entkleiden und 3 Treppen hinunter zu transportieren. Da seine Kraft nicht dazu ausreichte, ihn zu tragen und Kopf sowie Nacken voller Wunden waren, faßte er an dessen Füße und zerrte ihn so hinter sich her. Auf jeder Steinstufe schlug der Kopf des Toten jeweils hart und knallend auf. […] K. wurde bei einer solchen brutalen Äußerung der Menschenverachtung von panischer Angst und tiefer Hoffnungslosigkeit erfaßt. Durch seine bald darauf folgende ungerechtfertigte gerichtliche Aburteilung und das Todesurteil dreier seiner Kameraden, von denen ein Geschwisterpaar ihm eng verbunden war, wurden seine Befürchtungen, einer teuflischen Vernichtung machtlos ausgeliefert zu sein, weiterhin verstärkt."

Rheinisches Landeskrankenhaus Süchteln, Fachärztliches Gutachten über Johannes Krikowski, 12.12.1964, S. 38f.
Quelle: Privatarchiv Stefan Krikowski.

Auszug aus einem Interview mit Anne Drescher, Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Mecklenburg-Vorpommern:

Anne Drescher: "'Wie geht es Ihnen heute, wenn Sie mit diesem Thema konfrontiert werden?'

Es kommt der Kaffee hoch. Es ist alles so anstrengend. Also, ich merke – das werden Sie ja auch gemerkt haben, ich habe Konzentrationsschwierigkeiten. Man will das verdrängen oder will das nicht zugeben. Es ist einem auch peinlich. Ich habe heute Nacht schlecht geschlafen. Natürlich erst einmal wegen dieses Gesprächs. Aber, du hast auch eine Angst. Es ist auch diese Angst gewesen, nicht nach Schwerin zu fahren. Ich wollte das einfach nicht mehr sehen. Ich wollte das vergessen haben. Ich habe gedacht, die Mauer ist da, und die soll bleiben. Ich werde es nicht mehr erleben. Gut, Vergangenheit. Kaum war die Mauer weg, kommt die ganze Chose wieder hoch, mit all diesem Mist, mit Stasi-Akten, Berichten und so weiter. Also, ich habe das alles verdrängt. Das ist jetzt ja über 40 Jahre her. Aber im Grunde wirst du das nie los. Ein Gespräch, und dann ist alles wieder da. Dann sind all die Kränkungen, all die Empfindsamkeiten … das haben Sie ja auch bei den anderen gemerkt. Das Gescheitere ist vielleicht wirklich, nicht mehr daran zu rühren. Aber ich sage, mein Gott, wer wird das später mal hören, wenn wir nicht davon erzählen? Sollen wir uns ins Private zurückziehen? So lange ich kann, sage ich nein. Ich bin für die Öffentlichkeit. Vor allen Dingen bin ich daran interessiert, dass es auch in den Schulbüchern verankert wird. So viele Geschichten werden erzählt. Und es gibt jetzt ja auch wirklich hervorragende Literatur, auch Filme. Warum wird das nicht in Schulen gezeigt? Der Fall Esch oder das Buch über Workuta von Herrn Schüler. Es gibt ausgezeichnetes Material. Und Sie befragen ja auch Zeitzeugen. Aber das Gedächtnis lässt nach. Wir sind schon alt. Einige von uns aus der Lagergemeinschaft sind schon weit über achtzig. Ich gehöre im Moment zu den Jüngsten. Wir werden nicht mehr lange leben."

Drescher, Anne: Haft am Demmlerplatz. Gespräche mit Betroffenen. Sowjetische Militärtribunale Schwerin 1945-1953, 2. korr. Auflage, hrsg. vom Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2004, S. 208f.

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