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Lothar
Scholz

geboren 1928
in Berlin-Lichtenberg

verstorben 2023
in Berlin-Lichterfelde

Lebenslauf

14.12.1928 Geboren in Berlin-Lichtenberg.
1943 Gymnasium in Fürstenwalde/Spree. Konfirmation.
1944 Luftwaffenhelfer.
Januar 1945 Kriegsfreiwilliger in der Kesselschlacht bei Halbe (ca. 50km südlich von Berlin).
2.5.1945 Sowjetische Kriegsgefangenschaft.
26.8.1945 Entlassung und Rückkehr nach Fürstenwalde/Spree.
1946 Verhaftung durch den sowjetischen Geheimdienst. Prügel bis zur Bewusstlosigkeit, nur durch Unterschrift, als Spitzel zu arbeiten, der Folter entkommen. Flucht nach Hamburg.
1.6.1947 Rückkehr nach Fürstenwalde/Spree.
9.6.1947 Verhaftung durch den sowjetischen Geheimdienst, Gefängnis Eberswalde.
15.11.1947 Verurteilung durch die Außerordentliche Konferenz beim Ministerium für Staatssicherheit der SU (Fernurteil aus Moskau) zu 15 Jahren Zwangsarbeit nach Artikel 58-6 Abs. 1 des StGB der RSFSR. Abtransport nach Torgau.
Januar 1948 Transport von 28 Personen über Frankfurt/Oder, Orel, Moskau, Gorki, Petschora, Chanowe nach Workuta/Mulda.
Ab 1948 Zwangsarbeit in Mulda bei Workuta im Gleisbau. Teilnahme an einem Aufstand mit 114 Toten.
1950 Abtransport in das Sonderlager Potma/Mordowien (Lager 10, 11, 19, 14 und 2), 280 km südöstlich von Moskau. Zwangsarbeit u.a. in der Waldarbeit als Holzfäller.
11.10.1955 Entlassung durch die Initiative von Bundeskanzler Konrad Adenauer. Ankunft im Lager Friedland (Niedersachsen, West-Deutschland).
1956 Erneuter Schulbesuch mit anschließend verkürzter Lehre zum Großhandelskaufmann.
Ab 1958 Großhandelskaufmann in Berlin.
1964 Heirat.
1994 Eintritt in den Ruhestand. Seither Vorträge als Zeitzeuge in Gymnasien und bei Lehrerfortbildungen, zudem tätig für die "Deutsche Kriegsgräberfürsorge".
1996 Rehabilitierung durch die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation.
2001 - 2005 Russlandreisen: gemeinsam mit dem NDR nach Workuta und in Begleitung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder zum russischen Präsidenten Wladimir Putin.
4.8.2023 Verstorben in Berlin-Lichterfelde. Lothar Scholz hinterlässt seine Ehefrau und zwei Töchter.

Biografisches

"Endstation Bahnhof Siwaja Maska - Wir hatten die Reise über Brest-Litowsk mit dem Spurwechsel hinter uns, waren einen Tag auf Durchreise in Moskau, weiter nach Gorki, wo ein Offizierslager war, in dem Insassen mit Rängen bis zum General vertreten waren, die eine tadellose Ordnung hielten. Niemand wusste, wohin die Reise ging. In den Viehwaggons war es eisig kalt, die dicken Schrauben drinnen waren mit Eis überzogen. Unser Medizinstudent warnte, daran zu lecken, die Zunge würde kleben bleiben. Aber wir hatten doch einen höllischen Durst, hervorgerufen von den Trockenfischen, die wir als feste Nahrung bekamen - außer einem nach unsrem Hunger viel zu kleinen Stück nassen Brotes. Den Wachsoldaten war kein Wort zu entlocken, sie sprachen nicht Deutsch und wir nicht Russisch. Bei jedem Stopp rissen sie die Türen mit Gebrüll auf und bedeuteten uns, die Toten in den Schnee entlang der Bahnlinie rauszuwerfen!

Siwaja Maska. Halt! ein gebrochen Deutsch sprechender Empfangssoldat führte uns zu einem kleinen Hügel aus Schnee. Schnee, Schnee so weit das Auge reicht! Auf dem Hügel angekommen merkte ich, dass, wenn ich mich aufreckte, mit meiner Sommermütze an einen Draht kam! Wir standen also auf dem Dach einer Baracke! Um reinzukommen, schaufelten wir mit den Händen die vielleicht vier Meter Schnee bis zum Boden weg und rutschten auf dem Hosenboden zur Tür runter. Aber da waren schon Menschen drinnen. Die rissen uns zu Boden und untersuchten uns bis auf die nackte Haut! Wir trafen hier auf die Oberschicht der Hierarchie. Schnell begriffen wir: Diese schwerkriminellen Räuber und Mörder, die auch hier ihr Handwerk nicht vergessen hatten, beklauten uns unserer letzten Habe. Wer also noch eine Zivilhose anhatte, musste diese ausziehen, sonst würde er halbtot geprügelt. Weil ich aber im Juni verhaftet wurde, war es eine Sommerhose, in der ich bisher jämmerlich gefroren hatte. Ich bekam eine Wattehose von der Qualität eines Scheuerlappens dafür! Einer der neuen 'Bekannten' war ein ehemaliger Sowjetsoldat, der bei der deutschen Wehrmacht als Schuhmacher gearbeitet und dafür lebenslänglich bekommen hatte. Für den waren wir Schuld an seiner Situation, und er vergalt es uns mit kräftigen Schlägen, wenn er an einem von uns vorbei kam: Es war seine Lieblingsbeschäftigung. Aber er hatte auch einen Vorteil: er konnte einzelne Worte unserer Sprache, die er wahllos aneinander reihte. Und so erfuhren wir, dass wir im Polargebiet gelandet waren! Kein Baum, kein Strauch, nur Schnee, so weit das Auge reicht. Das heißt, es reichte mitunter nur einen halben Meter weit, so dicht war der Schneesturm (Purga)!"

Privatarchiv Lothar Scholz

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